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 Die letzten Tage meiner Kindheit

Autoren: Rafel Nadal
Übersetzer: Ursula Bachhausen
Verlag: Bastei Lübbe

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Lluc ist gerade einmal acht Jahre alt, als er unmittelbar vor dem Ende des spanischen Bürgerkrieges miterleben muss, wie seine Mutter auf der Straße erschossen wird – während sie versucht, einem Sterbenden zu helfen. Zwar findet der katalanische Junge Aufnahme bei einer liebevollen Witwe und ihrem halb erwachsenen Sohn, doch die Geister, die der Krieg heraufbeschworen hat, treiben weiterhin ihr Unwesen. Wessen Familie einmal gegen die Faschisten war, der hat unter dem Franco-Regime nichts zu lachen, zumal in der Phase der Etablierung.

So zerfällt auch Llucs neues Zuhause. Einmal mehr zeigt sich die Wirklichkeit schrecklicher als jeder Albtraum, zumal Albträume enden und das wahre, grausame Leben scheinbar endlos weitergeht. Lluc hat genug. Kaum alt genug geworden, findet er für sich keine andere Lösung mehr, als sich dem Widerstand gegen Franco anzuschließen: Welches Gesetz besagt, dass die meisten Menschen Verlierer sein müssen, weil sie nicht in die Familien der Reichen und Mächtigen hineingeboren wurden? Und sollte es keine Rache geben für Gräueltaten? Sein Stiefbruder hat ihn bereits mit dieser Frage konfrontiert und sich ihr selbst gestellt. Mit fatalem Ausgang.

In Llucs ländlicher katalanischer Heimat hat der Bürgerkrieg nicht weniger Blutzoll gefordert als im restlichen Spanien. Zweimal entwurzelt, einmal durch die Tötung seiner Mutter und nicht lange darauf durch den Verlust seiner Ersatzfamilie, dazu Zeuge horrenden Unrechts seitens etablierter Gutsbesitzer gegenüber wehrlosen einfachen Familien, sieht der Junge für sich eine Zukunft nur noch im aktiven Widerstand. Doch auf ungewöhnlichen Wegen kehrt er nach Jahrzehnten wieder zurück in die Heimat.

Sehr intensiv lässt Rafel Nadal die Zeit unmittelbar nach dem spanischen Bürgerkrieg und, über kurze Rückblenden, auch diesen selbst – zumindest in kleinen Teilen - lebendig werden. Lluc fungiert dabei als Ich-Erzähler; seinen Namen erfährt der Leser recht spät und sozusagen nebenbei. Er berichtet aus zeitlichem Abstand heraus, gewissermaßen abgeklärt, als ließe er für sich die Ereignisse noch einmal Revue passieren: somit nicht aus einer kindlichen Perspektive heraus.
In diese im Großen und Ganzen kontinuierlich vorgetragenen Erinnerungen sind die erwähnten Rückblenden eingeflochten, etwa, wenn Menschen aus Llucs Ersatzfamilie oder neue Bekannte ihm etwas über den Tod seiner Mutter und seine Herkunft erzählen. Denn all diese Ereignisse und das Beziehungsgeflecht der Menschen, die ihm etwas bedeutet haben, mit jenen, durch die sie vernichtet wurden, bilden für Lluc ein komplexes Puzzle, dessen Teile sich erst am Ende des Romans für ihn und den Leser schlüssig zusammenfügen. Nun zeigt sich auch, dass mancher Protagonist in Llucs Kinderleben nicht der war, für den der Junge ihn hielt, und dass ein großes Herz und Auflehnung gegen gesellschaftliche Diktate nicht immer offensiv zur Schau getragen werden.

Wie ein Sog wirkt diese Geschichte, in dem der sich entwickelnde Lluc gefangen ist und der den Leser mitzieht. Da fällt es schwer, das Buch vor dem Schluss aus der Hand zu legen. Und auch im Anschluss an die Lektüre wirkt der Roman nach, macht nachdenklich und berührt – schmerzlich, doch ebenso versöhnlich.

Reinlesen ist auf der Verlagsseite möglich.

Regina Károlyi



Taschenbuch | Erschienen: 27. April 2018 | ISBN: 9783404176786 | Originaltitel: La senyora Stendhal | Preis: 11,00 Euro | 237 Seiten | Sprache: Deutsch

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