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 Ich, Agamemnon, König der Achäer

Homers Helden erzählen

Autoren: Giulio Guidorizzi
Übersetzer: Achim Wurm
Verlag: Reclam

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Vermutlich ist es Schliemanns Entdeckung des "Schatz des Priamos" zu verdanken, dass der Name Troja, der Schauplatz von Homers gewaltigem Epos, auch heute noch reichlich Assoziationen erzeugt, obwohl die Gymnasiasten unserer Tage den "Trojanischen Krieg" im Allgemeinen nicht mehr lesen müssen, schon gar nicht im Original.

Für den zeitgenössischen Europäer sind indes das Handeln und die Motive der Achäer kaum nachvollziehbar. Was brachte ein Bündnis von Fürsten und deren Armeen dazu, zehn Jahre lang unter Entbehrungen und immer neuen Verlusten eine offensichtlich uneinnehmbare Festung zu belagern, nur weil einem von ihnen zuvor die – zugegeben wunderschöne – Frau mit einem Trojaner durchgebrannt war, dem er Gastfreundschaft erwiesen hatte?
In seinem Buch setzt Giulio Guidorizzi den Achäern und Trojanern ein Denkmal. Beginnend mit der Familiengeschichte Agamemnons beziehungsweise der Atriden, erzählt er, wie sich die Tragödie anbahnte und schließlich ihren Lauf nahm.

Ein für Kinder der Aufklärung absurder Ehrbegriff, im Gegenzug grenzenlose Gastfreundschaft, erbarmungslose Schlachten, Götter, die gewaltig menscheln und sich sehr aktiv in die Zeitläufte einbringen, Flüche, die sich über Generationen vererben, und ein Kontingent an Heroen mit verblüffenden Fähigkeiten, aber auch Ecken und Kanten: Es fällt uns modernen Europäern nicht leicht, zu verstehen, was die Menschen umtrieb, denen wir den Beginn unserer Kultur verdanken. Gerade der Trojanische Krieg wirkt aus heutiger Sicht ziemlich absurd: Die Elite Griechenlands belagert zehn Jahre lang vergeblich und mit riesigem Aufwand Troja, wobei es auch zu internen kleinlichen Zwisten kommt wie Achills beinahe fatalem Rückzug. Zu Hause zerfallen indes die bewährten Strukturen. Am letztlich errungenen Sieg kann sich vor allem Agamemnon nicht lange freuen.

Behutsam, dabei jedoch voll erzählerischer Strahlkraft lässt der Autor jene Zeit auferstehen. Die familiäre Vorbelastung der königlichen Brüder Agamemnon und Menelaos bildet den Anfang, bis schließlich Menelaos dem trojanischen Prinzen Paris Gastfreundschaft gewährt, worauf dieser und Menelaos' Frau Helena sich ineinander verlieben und das Unheil seinen Lauf nimmt.
Einige Passagen erzählen die Protagonisten selbst, hauptsächlich aber berichtet Guidorizzi klassisch in der dritten Person. Doch nimmt er sich so sehr zurück und fühlt sich so perfekt in seine beziehungsweise Homers Figuren ein, dass auch diese Teile erfüllt sind vom Geist der Akteure, die dem Leser während ihrer Aktivitäten ihre gewaltigen Gefühle, ihre Verpflichtungen, ihren inneren Zwiespalt, ihren Antrieb unmittelbar, dabei jedoch nicht gekünstelt erläutern. Das macht ihr Handeln wiederum nachvollziehbar. Was im Geschichtsunterricht bisweilen wirkte wie ein ziemlich groteskes, auf und ab wogendes wirres Drama, erhält auf diese Weise einen Sinn, einen roten Faden und eine Dynamik, die den meisten Lesern ohne altphilologische Prägung zuvor verschlossen gewesen sein dürften.

Lebendiger, anschaulicher und empathischer vom Krieg der Achäer gegen die Trojaner erzählen als Guidorizzi kann wohl kaum ein Autor, von Homer abgesehen, der sich freilich an ein zeitgenössisches, mit seiner Kultur gut vertrautes Publikum wandte. Dröge Frühgeschichte? Nicht mit diesem Buch. Die hochwertige, elegante Aufmachung macht es darüber hinaus zu einem kleinen Schmuckstück.
Ein außergewöhnliches Lesevergnügen!

Ein Blick ins Buch ist auf der Verlagsseite möglich.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 28. September 2018 | ISBN: 9783150111475 | Originaltitel: Io, Agamemnone. Gli eroi di Omero | Preis: 22,00 Euro | 222 Seiten | Sprache: Deutsch

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