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 Ein Hummerleben


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Sedd wächst in den 70er- und 80er-Jahren in einem mondänen Hotel in den norwegischen Bergen auf, dessen Eigentümer sein Großvater ist. Seine Großmutter, eine Konditorin, stammt aus Österreich - sie lernte ihren Mann bei einem Lehrgang kennen und folgte ihm in den Norden.

Über seine Eltern weiß Sedd nur wenig: dass sein Vater ein indischstämmiger Arzt war, der mittlerweile nicht mehr lebt, und dass seine Mutter irgendwie von der Zeit verweht wurde oder so ähnlich; sein Umfeld begegnet seinen Fragen nur mit reichlich verquasten Äußerungen.
Sedd versucht, mehr über seine Provenienz – so nannte es der Großvater einmal - herauszufinden, stößt aber auf sehr viel Widerstand.

Und dann ergeben sich ganz andere Probleme. Während das Kind Sedd zum Teenager wird, bleiben ihm manche Risse in der schönen Fassade seiner kleinen Welt nicht verborgen. Es stimmt so allerhand nicht, nicht nur, weil während eines aufwendigen Essens der Bankdirektor Berge urplötzlich zu Tode kommt, trotz Sedds engagierten Einsatzes mittels Kenntnissen vom Jugendrotkreuz. Was hat es mit all den nicht geöffneten Briefen von Banken und anderen Unternehmen auf sich, die Sedd eines Tages findet? Und warum nimmt das einstige Stammhotel in Oslo Großvater und Enkel beim jährlichen Besuch nicht mehr auf? Warum wünscht der Maßschneider eine Direktzahlung und stellt keine Rechnungen mehr aus?
Dann ist da plötzlich auch Karoline, wenige Jahre jünger als Sedd, ihren Eltern ein Klotz am Bein und in ihn verschossen.

Hummer, ja, die kommen auch vor in Erik Fosnes Hansens Roman. Sie stehen für die einstige Pracht eines in den Bergen gelegenen Luxushotels, das für Wintersportler, Angler, Wanderer und natürlich auch die Wohlhabenden der Umgebung lange Zeit einen Ankerpunkt darstellte. Doch jetzt, in den 1980er-Jahren, orientieren sich die Urlauber eher nach Süden. Sedds Großvater, dem Hoteldirektor, gelingt es nicht, den Anschluss an die neue Zeit zu finden, und so geht der Betrieb dezent "den Bach runter", wie es so heißt. Natürlich nicht in Großvaters Sprache.

Sedd, ein heranwachsender Junge mit einer rätselbehafteten Familie, versucht für sich selbst, so lange wie möglich eine gewisse Normalität aufrechtzuerhalten, auch wenn ihm die Versuche des Großvaters, die dräuende Insolvenz zu verdrängen, nicht völlig entgehen. Der Roman besteht nicht zuletzt aus vielen Andeutungen, die sich erst zum Ende hin, vor allem im wahrlich heißen Finale, zu einem recht klaren Bild zusammensetzen.
Ganz allmählich entwickelt sich die Geschichte, mit dem Tod des Bankdirektors als unmittelbar fesselndem Aperitif und dem fulminanten Schluss, dazwischen recht viel Plüsch und Verbindlichkeit aus den großen Zeiten vor und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, einiges zum Schmunzeln, auch wenn das Lachen kurz darauf im Halse stecken bleibt. Denn so opulent der Autor auch fabulieren mag, es steckt doch ein sich erst später erschließender Hintersinn in fast jeder erzählten Episode. Und dem Leser gelingt es nicht, sich der Atmosphäre aus Melancholie, Schmerz und einem dezenten Wahn(sinn) zu entziehen, in der Sedd, der Inbegriff der Unschuld, aufwächst.
Unbedingt lesenswert!

Eine Leseprobe wird auf der Verlagsseite angeboten.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 22. August 2019 | ISBN: 9783462050073 | Preis: 24,00 Euro | 382 Seiten | Sprache: Deutsch

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