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 Haarmann

Ein Kriminalroman


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Hannover in den 1920er-Jahren. Der Erste Weltkrieg ist Geschichte, nicht aber seine Auswirkungen auf die Bevölkerung. Der Friedensvertrag von Versailles, geschlossen 1919, verpflichtet Deutschland zu hohen Reparationszahlungen. Viele Männer sind im Krieg getötet worden, viele kamen an Körper und Seele schwer versehrt zurück. Die Wirtschaft liegt danieder. Auch die öffentliche Verwaltung leidet unter den Auswirkungen des Krieges. Die junge Weimarer Demokratie hat mit ihren Feinden im Inneren zu kämpfen. Kapp-Putsch und Hitlers Marsch auf die Feldherrenhalle erschüttern die Republik. In dieser gesellschaftlich-politisch brisanten Zeit verschwinden in Hannover plötzlich Jungen und junge Männer spurlos. Sie werden von ihren Eltern vermisst gemeldet. Ihre Leichen werden lange nicht gefunden. Am Ende werden es 24 sein. Mit den Ermittlungen wird der aus Bochum zugezogene Weltkriegsteilnehmer Lahnstein beauftragt. Dieser hat mit seinen eigenen Traumata zu kämpfen. Den Tod von Frau und Sohn, sowie der Scham, als Pilot nur zwei Abschüsse vorweisen zu können. Ihm zur Seite gestellt ist Kriminalkommissar Müller. Eine dubiose Gestalt, an deren rechtsstaatlicher Gesinnung Lahnstein schnell zu zweifeln beginnt. Lange gibt es keine Spur zu den Verschwundenen. Lahnstein beginnt, sie durchzunummerieren. Wird immer verzweifelter. Dann erhält er von seiner Vermieterin den Hinweis, dass er sich mal Fritz Haarmann vorknöpfen solle. Außerdem sei in einem Gasthaus Wurst aus Menschenfleisch aufgetaucht. Lahnstein nimmt den Hinweis auf und stößt bei seinen Ermittlungen auf das Hannoveraner Schwulenmilieu. Ist auch Haarmann ein am 17.5. Geborener? Eine Umschreibung für Personen, die unter den Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches fallen. Mehrmals verhört Lahnstein Fritz Haarmann. Ohne Ergebnis. Bis Knochen, Schädel und Kleidungsstücke auftauchen und er schließlich Haarmann der Morde an 24 Jungen und jungen Männern überführen kann.

Massenmörder gab es in Deutschland, in Europa, in Amerika in den letzten Jahrhunderten viele. Doch außer vielleicht Jack the Ripper haben wenige Literatur und Film so inspiriert, wie Fritz Haarmann. Zum Beispiel die Umdichtung des Liedes "Warte, warte nur ein Weilchen" in den 1920er-Jahren. „"Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir, mit dem kleinen Hackebeilchen, macht er Schabefleisch aus dir." Oder an den Film "Der Totmacher" aus dem Jahr 1995. Kongenial besetzt mit Götz George in der Titelrolle. So mag auch der jüngeren Generation der Name Fritz Haarmann ein Begriff sein.

Das Buch von Dirk Kurbjuweit legt den Fokus weniger auf den Massenmörder, der erst spät im Roman etwas Kontur bekommt. Im Zentrum der Handlung stehen Ermittler Lahnstein und die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse jener Zeit. Kurbjuweit versteht es, diese sehr lebendig den Lesern zu vermitteln. Oft genügt nur ein Ortsname - Tannenberg oder Verdun - um wenigstens den älteren Menschen, die sich noch an Erzählungen ihrer Großeltern erinnern, vor Augen zu führen, welche Schimären die ehemaligen Kriegsteilnehmer heimsuchten. Gleichzeitig einen Platz in der neuen Gesellschaft finden mussten. Kurbjuweit führt historische Ereignisse, wie beispielsweise Kapp-Putsch und den Marsch Hitlers auf die Münchener Feldherrenhalle in die Handlung des Romans ein. Jüngeren Lesern sollten die großen Namen wie Hitler bekannt sein. Vielleicht noch Göring. Aber Ludendorff? Noske? Dies zu beurteilen ist schwierig für die Rezensentin, die sich seit ihrer frühen Jugend mit Erstem Weltkrieg, der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigte. Vielleicht kann dieser spannende Roman auch Jüngeren ein Gefühl für die damalige Zwischenkriegszeit vermitteln. Zudem versteht es der Autor bestens, Assoziationen zu Fragen unserer heutigen Zeit herzustellen. Beispielsweise hadert Lahnstein mit seinen Gedanken, welche Methoden er als überzeugter Demokrat anwenden darf, um Haarmann zu einem Geständnis zu bewegen. Da tauchen dann Erinnerungen an den Fall des ehemaligen Frankfurter Polizeipräsidenten auf. Dieser hatte im Entführungsfall Jakob von Metzlers dem mutmaßlichen Täter unerträgliche Schmerzen androhen lassen. Mit dem Ziel, dass der Entführer das Versteck seines Opfers offenbare. Auch die Zweifel Lahnsteins an der demokratischen Gesinnung seines Kollegen Müller, sowie des gesamten Polizeiapparates erinnern an jüngste Vorfälle bei Polizei und Militär um rechtsradikale Netzwerke. Somit hat der Fall Haarmann, wie ihn der Zeit- und Spiegel Reporter beschreibt, in seiner gesellschaftlich-politischen Dimension nichts an Aktualität verloren.
Geschichts- und Gesellschaftskunde vom Allerfeinsten.

Eine Leseprobe wird auf der Verlagsseite angeboten.

Claudia Ricker



Hardcover | Erschienen: 17. Februar 2020 | ISBN: 9783328600848 | Preis: 22,00 Euro | 320 Seiten | Sprache: Deutsch

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