Media-Mania.de

 Milchmann

Autoren: Anna Burns
Übersetzer: Anna-Nina Kroll
Verlag: Tropen Verlag

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Eine zu Beginn des Romans 18-jährige junge Frau, genannt Mittelschwester, versucht in den 1970er-Jahren in einem nicht näher bezeichneten Land, der Enge der religiösen und gesellschaftlichen Erwartungen und Klischees zu entkommen. "Politische Probleme" spalten die Bevölkerung. Mittelschwester sucht in einem Klima von religiös-politischem Wahn und Gewalt nach ihrem eigenen Weg. Sie flüchtet sich in die Lektüre von Büchern aus vergangenen Jahrhunderten und räsoniert dabei über Umwälzungen innerer Landschaften.

Äußere Umwälzungen werden nicht nur durch die militanten Konflikte evoziert. Mit dem Auftauchen eines mysteriösen älteren Mannes, dem titelgebenden Milchmann, und seinen Annäherungsversuchen wird sie in den Augen der Nachbarn zu einer interessanten Person. Diese will sie genauso wenig sein, wie sie die Annäherungen des Milchmanns will. Interessant zu sein, ist gefährlich und sie gerät schnell zwischen die Fronten.

Diese beklemmende Geschichte wird in einer ganz eigenen, rauschhaften und auch bizarren Sprache erzählt. Weder Orte noch die Protagonisten der Handlung haben Namen. Letztere werden fast schon wie Objekte benannt: Schwager 1, 2 und 3, Älteste Schwester, Vielleicht-Freund, Irgendwer McIrgendwas und viele andere. Die Sätze sind endlos lang. Dadurch entsteht eine Atmosphäre von Getriebensein und Surrealem. Die Objekthaftigkeit von Schauplätzen und Menschen schafft einen fast schon schmerzhaften Realismus. Der Leser erkennt schnell, dass hier die Verhältnisse im Nordirland der 1970er-Jahre auf eine atemberaubende Weise geschildert werden. Unerbittlich werden die damalige Gesellschaft und die Gewalt auf beiden Seiten der ideologischen Grenzen seziert. Zugleich ist dieses Buch auch eine sehr nüchterne Coming-of-Age Geschichte. Oder, um es in der Sprache der literarischen Lieblingsepoche von Mittelschwester auszudrücken: Entwicklungsroman.

Trotz des rasanten Erzählstils hat der Roman hie und da Längen. Dem circa 450 Seiten starken Buch hätte eine Diät zur Reduktion von 150 Blättern gutgetan.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Autorin für diesen Roman 2018 den ManBooker-Preis erhielt. Die kongeniale Übersetzung von Anna-Nina Kroll ist ebenfalls aller Ehren wert und hätte ebenso eine Würdigung verdient.


Eine Leseprobe wird auf der Verlagsseite angeboten.

Claudia Ricker



Hardcover | Erschienen: 22. Februar 2020 | ISBN: 9783608504682 | Originaltitel: Milkman | Preis: 25,00 Euro | 452 Seiten | Sprache: Deutsch

Bei Amazon kaufen


Ähnliche Titel