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 Horror im Orient-Express 1

London


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Leitbarkeit
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Der Orient-Express - kein Transportmittel hat jemals stärker die Phantasie unzähliger Menschen angeregt, als der legendäre Luxuszug der Compagnie Internationale des Wagons-Lits, der von 1883 bis 1962 zwischen Paris und Konstantinopel verkehrte. Agenten, Könige, Diplomaten und Künstler waren seine Fahrgäste, in seinen Waggons ereigneten sich sowohl reale als auch fiktive Dinge, über die man noch heute spricht. Am bekanntesten dürfte wohl Agatha Christies Roman "Mord im Orient-Express" sein, in dem der Meisterdetektiv Hercule Poirot an Bord des Zuges ein Gewaltverbrechen aufklärt.

Der Mythos "Orient-Express" schien prädestiniert für ein Cthulhu-Abenteuer, und so veröffentlichte Chaosium 1991 für das Cthulhu-Rollenspiel "Horror on the Orient Express", eine Kampagnenbox, die angeblich so reichhaltig mit Spielmaterialien ausgestattet war, dass man sie - einmal geöffnet - nicht mehr zubekam. Doch abgesehen von der Frage, ob diese Behauptung Übertreibung ist oder nicht, setzte die Orient-Express-Box aufgrund ihres Umfangs und ihrer reichhaltigen Ausstattung neue Maßstäbe in punkto Kampagnen.

Nun hat sich auch Pegasus der legendären Kampagne angenommen und veröffentlicht sie erstmals in deutscher Sprache. Dabei nutzte das Cthulhu-Team um Frank Heller die Gelegenheit, die mittlerweile 13 Jahre alte Kampagne komplett zu überarbeiten. Da eine Box allerdings zu teuer geworden wäre, entschied man sich, "Horror im Orient-Express" als vier separate Quellen- und Kampagnenbände zu veröffentlichen. Diese Entscheidung ermöglichte es nicht nur, drei komplett neue Szenarien in die Kampagne einzufügen, sondern zusätzlich in Form eines Quellenteils weiterführendes Hintergrundmaterial über die Länder einzufügen, durch welche die unheimlichen Reise an Bord des Zuges führt. Somit stellt "Horror im Orient-Express" nicht nur eine umfangreiche Kampagne dar, sondern versteht sich gleichfalls als eine Art "Mitteleuropa-Quellenbuch" für das Cthulhu-Rollenspiel in der 1920er-Epoche.

Die vier Bände der Kampagne erscheinen als Softcover mit Klebebindung. Band 4 wird laut Verlag eine Box beiliegen, in der alle Bände und das Zusatzmaterial Platz finden. Die Umschlaggestaltung des vorliegenden ersten Bandes ist - wie gewohnt bei Pegasus - atmosphärisch und stilvoll. Auch das verwendete Papier ist qualitativ hochwertig. Lediglich der Klebeeinband erweckt keinen so positiven Eindruck, lösen sich doch nach intensiver Durchsicht des Bandes bereits die ersten Seiten vom Buchrücken. Kein gutes Zeichen, wenn man als Meister der Kampagne regelmäßig nachschlagen muss.

Der erste Band, mit dem Untertitel "London" versehen, markiert den Einstieg in die Kampagne. Bereits beim Betrachten des Inhaltsverzeichnisses fällt auf, dass man sich beim Design des Bandes an einem Zugfahrplan orientiert hat. So wurden die Seitenzahlen durch Uhrzeiten ersetzt. Der Band beginnt mit dem Inhaltsverzeichnis um 12.00 Uhr und schreitet dann im Fünf-Minuten-Takt pro Seite bis 19.00 Uhr fort. Diese Idee ist optisch sehr schön, erschwert aber beim Leiten der Kampagne das schnelle Nachschlagen ungemein.

Das Vorwort ist - gemäß Inhaltsverzeichnis - die erste Station der Kampagne und gibt auf zwei Seiten einen knappen Überblick über Inhalt, Konzept und Gestaltung der vierbändigen Kampagne, sowie eine Auflistung der Änderungen, welche die deutsche Redaktion vorgenommen hat. Dies erweist sich als nützliche Hilfe, die leider bei anderen Rollenspielkampagnen sehr häufig vernachlässigt wird.

"Hauptstation 2" Der Orient-Express leistet die notwendige Basisarbeit. Ein Großteil der Kampagne spielt sich in dem legendären Zug ab, und so wird auf 52 Seiten - pardon, vier Stunden und zwanzig Minuten - der wichtigste Handlungsschauplatz sowie dessen Geschichte en detail beschrieben. Unterkapitel nehmen sich wichtiger Themen wie dem Reisen im Orient-Express, seinem Personal sowie der Speisekarte im Speisewagen an. Eine authentisch wirkende Speisekarte ist ebenfalls abgedruckt, die man den Spielern nicht nur als Handout vorlegen kann. Vielleicht gibt es ja den einen oder anderen Spielleiter, der sich selbst in der Küche an den luxuriösen Speisen versuchen möchte, um seinen Spielern ein Erlebnis der besonderen Art zu gönnen. Im zweiten Teil dieses Kapitels werden die Gegenspieler der Charaktere sowie eine Reihe neuer Zauber vorgestellt, die im Lauf der Kampagne von Bedeutung sind.

Um 16.35 Uhr kommt der Band schließlich in London an, und der "Horror im Orient-Express" kann beginnen. Wobei die Spieler erst im zweiten Band den eigentlichen Orient-Express besteigen. Auf der Strecke London - Paris verkehren nämlich nur Zubringerzüge.

Der Einstieg in die Kampagne heißt "Schemen im Abendnebel", worin die Charaktere in London einem alten Freund, Professor Smith, zu Hilfe eilen. Dieser bittet sie, für ihn die fünf Teile eines uralten okkulten Kunstwerks namens Sedefkar-Simulakrum zu suchen, welche über ganz Europa verstreut sind. Das beste Transportmittel, um alle Orte abzuklappern, ist natürlich der Orient-Express. Wenn sie alle Teile haben, müssen diese in Konstantinopel, der Endstation des Zuges, mithilfe eines bestimmten Rituals vernichtet werden. Wie prekär die Lage ist, wird durch die Tatsache deutlich, dass Smith am Vortag nur knapp einem Mordanschlag entkommen ist. Aufgrund schwerer Verbrennungen ist er nicht selbst in der Lage, sich auf die Reise zu begeben.

Bevor die Charaktere sich jedoch auf den Weg machen, müssen sie zuvor das Geheimnis um den "Zug der Verdammten" lösen, welches das zweite Abenteuer der Kampagne ist. Hier können sie sich mit dem Thema Züge ausgiebig vertraut machen, unter anderem durch ein gemeinsames Diner mit den Mitgliedern der legendären englischen Train Spotters? Association, einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft von Zugfetischisten. Das Grauen erwartet sie jedoch erst an Bord eines Geisterzuges, dessen Passagieren sie entweder Erlösung bringen, oder sich selbst in deren Reihen begeben können.

Beide Abenteuer sind flüssig und gut lesbar geschrieben. Relevante Informationen können dank übersichtlicher Gliederung schnell aufgefunden werden. Wie immer bei Cthulhu wird wichtigen Nichtspielercharakteren mit historischen Fotos ein stimmungsvolles Aussehen verliehen. Ohne zuviel über den Inhalt der Abenteuer zu verraten, kann man sagen, dass die Spieler behutsam in die Kampagne und das damit verbundene Thema Züge eingeführt werden.

Der Anhang gibt auf drei Seiten die Werte wichtiger NSCs an und enthält zwei Seiten Handouts, die herauskopiert werden müssen.

Der erste Band der Orient-Express-Kampagne weiß zu gefallen. Die für den Spielleiter relevanten Informationen zum Einstieg in die Kampagne sind umfassend und übersichtlich aufbereitet. Die Aufmachung ist betont edel gehalten, um einen Eindruck des Flairs längst vergangener Zeiten zu vermitteln. Lediglich zwei Dinge sind dem Band anzukreiden: die unzuverlässige Klebebindung, auch in Hinsicht auf die Notwendigkeit, die Handouts herauszukopieren, und der Austausch der Seitenzahlen gegen eine Bahnhofsuhr. Dies ist zwar optisch ein netter Einfall, erschwert dem Spielleiter aber unnötigerweise die Arbeit, wenn er Informationen anhand des Index sucht und nachschlagen möchte.

Bei einer Kampagne ist es natürlich immer schwer, eine Kaufempfehlung auszusprechen. Wer allerdings genug von den einsamen Häusern mitten im Wald hat und seinen Spielern etwas Spektakuläres bieten will, darf hier ungehindert zugreifen. Ansonsten würde ich raten, sich den Kauf gut zu überlegen. So schön Band I auch geworden ist, eignet er sich als Informationsquelle abseits der Orient-Express-Kampagne nicht wirklich. Wer also nicht plant, seine Spieler auf eine abenteuerliche Reise an Bord eines Luxuszuges zu schicken, ist mit einer Abenteuersammlung, beispielsweise aus der Reihe "Cthuloide Welten Bibliothek" besser beraten.

Markus Goedecke



Softcover | Erschienen: 1. November 2004 | ISBN: 3937826114 | Originaltitel: Horror on the Orient Express | Preis: 14,95 Euro | 96 Seiten | Sprache: Deutsch

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