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 Hendrikje, vorübergehend erschossen


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis


Hendrikje hat es wirklich nicht leicht im Leben. Von der Mutter im Kindesalter verlassen, den Vater nicht einmal kennend, wuchs das Mädchen bei der Großmutter auf. Nun sitzt sie nach einer haarsträubenden Verkettung von Ereignissen im Gefängnis, und ihre einzige Möglichkeit, früher aus der Haft entlassen zu werden, ist die Psychotherapeutin Frau Doktor Palmenberg. Der muss sie also nun erzählen, was alles passiert ist, dass Hendrikje in dieser Lage steckt. Und die Geschichte, die Frau Doktor Palmenberg zu hören bekommt, ist eine ungewöhnliche:
Hendrikje hat eigentlich ein gutes Leben. Sie wohnt mit ihrer Oma zusammen in einer billigen, schönen Wohnung, arbeitet tagsüber in einem Café und malt nachts, denn sie will als Malerin ihr Geld verdienen und hat schon ihre erste Ausstellung vor sich. Doch alles kommt anders: Aus Nächstenliebe lässt sie das Mädchen Paula an Weihnachten in ihrem Atelier schlafen. Und dann geht es ganz schnell: Das Atelier brennt ab, die Oma stirbt, ihr Freund Ernst gibt ihr den Laufpass und Hendrikje steht plötzlich vor einem Berg von Schulden und einem kaputten Leben. Das will sie nicht weiter mitmachen; doch der erste Selbstmord scheitert völlig. Und so bittet sie ihre Freunde um Hilfe, die ihr völlig selbstlos zur Seite stehen und ihr beim nächsten Versuch behilflich sein wollen. Aber auch dieser zweite Selbstmordversuch geht alles andere als glatt. Ihr bester Freund Holger stirbt statt ihrer, und dann wollen die anderen auch noch ihr die Schuld dafür in die Schuhe schieben. Hendrikje entschließt sich zur Flucht vor ihren so genannten Freunden. Und so findet sie Unterschlupf bei Bruno, einem mundfaulen Stammgast des Cafés - bis das Chaos in Hendrikjes Leben weitergeht.

"Ein ungewöhnlich warmherziger und witziger Roman", so ist auf der Rückseite des Buches "Hendrikje, vorübergehend erschossen" zu lesen. Allein schon der Titel lässt auf unkonventionelle und originelle Lesekost hoffen.
Die Sprache, die Ulrike Purschke in ihrem Debütroman verwendet, ist mit Sicherheit weder innovativ noch anspruchsvoll, unterwirft sich aber passend der Protagonistin Hendrikje: einfach, oft umgangssprachlich, nie langweilig. Aber die erwähnte Warmherzigkeit vermisst man. Hendrikje, die der Psychotherapeutin im Gefängnis von sich und ihrem verkorksten Leben erzählt, bleibt trotz ihrer Macken, ihrer entwaffnenden Ehrlichkeit und ihrer erfrischenden Naivität stets distanziert zum Leser, es gibt kein Identifikationspotenzial und nur wenige Momente des Mitfühlens, obwohl Hendrikje so vieles erlebt. Zu eigen ist die Protagonistin in ihrem Denken und Handeln, zu wenig nachvollziehbar das, was geschieht. Zwar erhebt der Roman keinen Anspruch auf bodenständige, alltägliche Wirklichkeit, dennoch wäre eine klarere Linie wünschenswert gewesen. Die Mischung aus real möglichen Ereignissen - natürlich in einer irrwitzigen Aneinanderkettung - und traumhafter Realitätsferne ist zu Beginn noch sehr unterhaltsam, nutzt sich aber im Laufe des 217 Seiten umfassenden Romans langsam ab. Das liegt vor allem an Purschkes Bemühen, alle Stränge der Handlung in Wohlgefallen aufzulösen. Ob Hendrikjes Verhältnis zu Ernst und Bruno, Paulas unabsichtliche Brandstiftung, Hendrikjes Gefängnisaufenthalt oder die verpatzte Bilderausstellung - jegliche Probleme lösen sich gegen Ende des Buches in Wohlgefallen auf. Bei einem einfältigen und naiven Charakter wie Hendrikje mag das passend sein, doch die Anhäufung guter Wendungen strapaziert das Lesevergnügen, das sich bis dahin aufgebaut hat und das nicht einmal von der stellenweise überraschend schwankenden Integrität Hendrikjes beeinträchtigt wird. Schwankende Integrität deshalb, weil diese von Grund auf ehrliche und naive Person ihre Therapeutin anlügt und plötzlich hin und wieder auch eine durchaus normale Portion Egoismus zeigt, was sich allerdings nicht mit der sonstigen Charakterzeichnung deckt, die man auch in der Inhaltsbeschreibung im Innenumschlag findet.

Purschke hat sich selbst um ein rundum gelungenes Debüt gebracht, indem sie die amüsante, wilde Geschichte Hendrikjes gegen Ende zu einem allzu seichten Happy End führt und die Protagonistin nicht konsequent handeln lässt; die Annäherung an den Leser will leider ebenso nicht zur Gänze gelingen. So bleibt letztlich ein angenehm zu lesendes, mit einer Prise Humor versehenes Debütwerk, dem gewiss noch bessere Romane folgen können.

Tina Klinkner



Taschenbuch | Erschienen: 01. April 2006 | ISBN: 3423245336 | Preis: 12 Euro | 217 Seiten | Sprache: Deutsch

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