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 Die Chronik der Unsterblichen, Band 1: Am Abgrund, Teil 1


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ein einsamer Reiter sucht seinen Weg durch die wie ausgestorben wirkende Landschaft. Keine Menschenseele scheint unterwegs zu sein. Auch als der Mann in das Dorf reitet, sieht er niemanden. Doch wo ist sein Sohn? Als er das Dorf verließ, geächtet und ausgestoßen, glaubte er ihn hier in Sicherheit. Er betritt die für das kleine Dorf große Kirche und schaudert. An den Balken baumeln unzählige Dorfbewohner. Gefolterte und grausam zerstückelte Leichen liegen verstreut auf dem Boden. Verzweifelt schaut er sich um. Wo ist sein Sohn?
Er steigt voller Vorahnungen die steile Holztreppe hinauf und findet ihn schließlich in einem der oberen Räume. Gefoltert, gefesselt und aufgespießt starrt sein Sohn ihn an. Die unbeschreibliche Qual in seinen Augen lässt Andrej Delany erzittern. Er nimmt seinen Sohn in die Arme und erlöst ihn mit einem einzigen Stoß seines Schwertes.
"Das war sehr mutig", sagt hinter ihm eine Stimme. Delany schaut sich um und sieht einen fast unverletzten Jungen in der Ecke kauern. In seinem Gesicht ist die Qual des Überlebenden, die Scham des dem Gemetzel Entkommenen, zu erkennen. Frederic, wie der rothaarige Junge heißt, fleht den Krieger an, ihm bei seiner Suche nach den verschleppten Dorfbewohnern und der Rache an den Tätern, dem Inquisitor und seinen Helfern, beizustehen.
Die zwanzig Männer sind vor einigen Tagen davongezogen und haben alle Überlebenden wie Vieh aneinandergebunden und mitgenommen. Doch Andrej Delany will keine Rache. Er ist ein Verstoßener und einzig sein Sohn war sein Ziel. Die Dorfbewohner sind ihm egal.
Doch Frederic gelingt es, den einsamen Reiter zu überzeugen. Unschuldige sind in der Hand dieser Teufel in Menschengestalt und Delany hofft, den Jungen von seiner sinnlosen Rache abzubringen. Die beiden machen sich auf den gefahrvollen Weg, den Mördern zu folgen. Offensichtlich haben die es weder eilig, noch reisen sie im Verborgenen. Wohin die Verfolger auch kommen, Leichen weisen ihnen einen unübersehbaren Weg.

Im Oktober 2004 wagten es Thomas von Kummant und Benjamin von Eckartsberg das Buch als Comic umzusetzen, das als wichtigstes und erfolgreichstes Werk von Wolfgang Hohlbein angesehen wird. Etwa die Hälfte des ersten Buches der mittlerweile siebenbändigen Chronik ist Thema des Comics.
Gleich zu Beginn ist klar, das sich Leser, die die Bücher Hohlbeins gelesen haben, mit dieser Umsetzung kaum anfreunden können. Die Geschichte wirkt fremd, stark gekürzt, Charaktere sind derart "comicartig" umgesetzt, dass es den Fan der Bücher schaudert.
Aus der Sicht der Literaturvorlage ist dieser Comic in meinen Augen gescheitert und hat wenig gemein damit. Zudem fehlen viele wichtige Handlungsmomente und Motivationen der Protagonisten, dass es die Tiefe und Vielschichtigkeit der Bücher fast negiert.
Dieser Comic sollte man der Fairness halber so betrachten, als gäbe es keine Buchvorlage. Da ist zunächst einmal der düstere, horrorartige Beginn. Er gerät den Grafikern beeindruckend. Die Hintergründe sind außergewöhnlich detailliert und wirken fast fotorealistisch - leider kann man das von den wie einkopiert wirkenden Personen nicht behaupten. Sie wirken eindimensional und schlicht wie Comicfiguren aus Alben wie Asterix und Lucky Luke. Nur die düstere Stimmung der Helden in diesem Fantasy-Comic unterscheidet sie von den eher albernen Comic-Charakteren von Albert Uderzo und Morris.
Im weiteren Verlauf verstärkt sich der Eindruck, einen Horror-Comic zu betrachten. Der Fantasy-Aspekt tritt - bis auf einige wenige Anspielungen und Geschehnisse - in den Hintergrund. Die Untaten der Inquisition, die Qualen der Überlebenden und die unmenschlichen Vorgänge in dieser mittelalterlichen Welt werden hervorragend illustriert. Gänsehaut überzieht meine Arme und meinen Rücken, wenn ich einige der Bilder betrachte. Grausam und echt wirken die Szenarien, furchtbar klar gelingt dem Zeichner das Bild einer gottlosen Zeit.
Leider kann der Text diesen Eindruck nicht festigen. Er wirkt oft wie hinzugefügt, manchmal überflüssig und seltsam fehl am Platz. Des Öfteren hat man den Eindruck, als wäre einem fertigen und in sich geschlossenen grafischen Werk ein Text aufokktruiert worden, der nicht eingeplant war. Diese Inhomogenität von Text und Bild ist der Hauptschwachpunkt eines ansonsten gelungenen Fantasy-Comics.

Fazit: Für Kenner und Fans der Bücher Hohlbeins ist dieser Comic der, obwohl 2004 erschienen, noch keine Fortsetzung erfahren hat, nicht zu empfehlen. Zu viele Kompromisse wären nötig, um beides vereinbaren zu können: die Schlichtheit und Einfachheit des Comics und die Vielschichtigkeit und Detailtreue der Bücher. Wer allerdings die Bücher nicht kennt oder lange schon keinen Blick mehr hineingeworfen hat - oder wer sie nicht mochte -, kann bedenkenlos zugreifen, es gilt ein schönes, grafisch sehr beeindruckendes, Werk zu entdecken. Einziges Manko ist, dass der Zusammenhang zwischen Text und Bild oft nicht oder nur schwach gegeben ist und dem Ganzen die perfekte Wirkung nimmt.

Stefan Erlemann



Hardcover | Erschienen: 1. Oktober 2004 | ISBN: 9783770428809 | Preis: 12 Euro | 56 Seiten | Sprache: Deutsch

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