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 Das Geheimnis des fünften Evangeliums

Warum die Bibel nur die halbe Wahrheit sagt


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Der eine oder andere nicht so bibelfeste Zeitgenosse wird eventuell ins Grübeln kommen: fünftes Evangelium? Wie viele gibt es denn? Nun, im Kanon der biblischen Schriften gibt es vier, die drei Synoptiker Markus, Matthäus und Lukas, die mehr oder weniger alle das Gleiche schreiben, und dazu Johannes, der teilweise eklatant abweicht und der ganz offenbar auch etwas anderes im Sinn hatte als seine Kollegen.

Elaine Pagels setzt im Besonderen dem Johannesevangelium einen weiteren Apostel entgegen, dem ein Evangelium zugeordnet wird, Thomas nämlich - also ausgerechnet der Jünger, den Johannes als den ungläubigen Thomas karikiert hat und der dadurch auch sprichwörtlich wurde. Johannes, so meint Pagels, kannte dieses Evangelium des Thomas auch, schrieb einige Sprüche auch fröhlich ab - beide Evangelien haben sehr ähnliche Teile - und bemühte sich nach Kräften, die Hauptaussage des Thomasevangeliums zu widerlegen.

Laut Pagels gab es nämlich rund um das Thomasevangelium eine frühchristliche Strömung, die Jesus als Menschen, wenn auch als einen besonderen Menschen, sah. Und laut Thomas kann jeder Mensch das Göttliche in sich finden. Als der Autor des Thomasevangeliums selbiges schrieb, war das weder Blasphemie noch Minderheitenmeinung. Aber es gab genauso die Strömung, die dann im Johannesevangelium mündete, die Jesus als etwas Göttliches charakterisierte, als Gottes Sohn und mehr, denn Gottes Sohn bedeutete nur eine gewisse Vorrangstellung, nicht die wirkliche Göttlichkeit.

Aber warum setzte sich die Meinung durch, dass Jesus eben auch göttlich sei, ja sogar mit Gott identisch? Eine Schlüsselfigur dafür ist Irenäus, ein junger Bischof so etwa 300 nach Christus. Irenäus war größeren Verfolgungen ausgesetzt und hatte ansehen müssen, wie sein Mentor öffentlich zur Schau gestellt und hingerichtet worden war. Als er nach einer weiteren Verfolgung früh an sein Amt kam, mühte er sich, seine Herde möglichst gut beieinander zu halten. Dazu setzte er seine Theologie ein. Er postulierte, dass das Johannesevangelium so zu lesen sei, dass Jesus eine gehörige Portion Göttlichkeit abbekommen müsse. Er postulierte den bis heute gültigen Kanon und meinte, dass alle heute apokryph genannten christlichen Texte zu verbannen seien. Und als dann anderthalb Jahrhunderte später unter Kaiser Konstantin das nicäische Konzil stattfand, waren die Ideen des Irenäus ein letztes Mal in der Diskussion, denn hier wurde vieles von dem festgeschrieben, was der Bischof zum ersten Mal postuliert hatte, vor allem alles, was mit der Göttlichkeit Jesu zu tun hat. Auf dem Konzil wurde noch viel gestritten, schließlich steht die Gleichung Jesus = Gott nirgends in der Bibel. Etwa die Hälfte der damaligen Christenheit hatte mit dieser Gleichung auch nichts zu tun. Schon bald gab es darüber die größeren Auseinandersetzungen und die, die der bis heute durchgehaltenen Lehrmeinung widersprachen, wurden bald von der Staatsmacht verfolgt.

Elaine Pagels führt gut geschrieben, aber sicher nicht ganz einfach in die Welt der frühen Christen, ins Thomasevangelium und die anderen apokryphen Texte, die sie noch streift - das Johannes-Apokryphon, das Evangelium der Maria Magdalena und vieler anderer. Sie bewegt sich auf dem schmalen Pfad zwischen populärwissenschaftlichem Werk - das soll es der Aufmachung nach sicher sein - und theologischem Fachbuch, was es oft genug auch ist. Einerseits sollte man keine leichte Lektüre erwarten, da Zitate und Übersetzungen genauso ein bisschen kämpfen lassen wie viele Anmerkungen, die man sich durchlesen kann, aber nicht muss.

Was Pagels da auflistet, ist nicht völlig überraschend. Wer sich ein bisschen mit Theologie beschäftigt hat, weiß vermutlich, dass das Konzil von Nicäa die Göttlichkeit Jesu erst beschloss. Aber sowohl die Aufschlüsselung der Strömungen, die dahin führten, als auch die Alternative, die ja auch für Christen heute interessant sein könnte und sollte. Hier gibt es eine Möglichkeit des lebendigen Glaubens, ohne dass das Gehirn abgeschaltet werden muss, ohne die große Erlösungsbotschaft, aber mit einem allumfassenden Toleranzgebot. Und da ist es nur schlüssig, dass das Thomasevangelium dann auch vollständig Teil des Buches ist. Hier kann sich also jeder selbst von diesem Text überzeugen. Durchaus spannende Lektüre, besonders für Menschen, denen der traditionelle Glaube zu naiv ist. Ein Sonderlob übrigens an den Übersetzer Kurt Neff, der ja nicht nur aus dem Englischen übersetzen, sondern auch das Hebräische und Altgriechische im Auge behalten musste.

Holger Hennig



Taschenbuch | Erschienen: 01. Juli 2006 | ISBN: 3423343338 | Originaltitel: Beyond Belief. The Secret Gospel of Thomas | Preis: 9,50 Euro | 239 Seiten | Sprache: Deutsch

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