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 Gletschergrab


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton


1945: Die "Ju 52" fliegt zu tief. Durch einen Orkan ist sie vom Kurs abgekommen und zu spät bemerkt Miller, der Pilot, dass sie über einen schneebedeckten Berghang fliegen. Vor ihnen erhebt sich der größte Gletscher Islands, der Vatnajökull. Das Flugzeug stürzt auf dem Gletscher ab, die Tragflächen reißen ab und mit einem lauten Knirschen bleibt der fast unversehrte Rumpf der Maschine liegen. Der heftige Schneefall verdeckt schon nach Minuten alle Spuren der Maschine. Einer der Insassen versucht zu Fuß das Haus zu erreichen, dessen Licht sie kurz in der Dunkelheit aufflammen sahen, doch er verfehlt es um einige Kilometer. Auch die sechs in der Maschine verbleibenden Soldaten haben keine Chance.

1999: Nach fünf Jahrzehnten gelingt es dem amerikanischen Geheimdienst endlich eine Spur der Maschine zu finden. Moderne Satellitenüberwachung und digitale Technik ermöglichen eine genaue Standortbestimmung und Geheimdienstchef Carr, an die siebzig Jahre alt und schon dreißig Jahre auf der Suche nach dem Flugzeug, ernennt Ratoff zum Leiter der Geheimoperation. Zwar ist der Mann ein gefährlicher sadistischer Irrer, aber Carr braucht einen absolut vertrauenswürdigen Mann vor Ort.
Doch zwei junge Männer der Bergwacht fahren zufällig mit ihren Schneemobilen zum Standort des Wracks. Ratoff, der keine Zeugen haben will, tötet einen der Männer, indem er ihm die Augen aussticht, und lässt beide in eine Gletscherspalte werfen. Alles soll wie ein Unfall aussehen. Doch einer der beiden jungen Männer hat kurz bevor ihn Schergen Ratoffs festnehmen konnten mit seiner Schwester Kristin telefoniert. Auch sie soll sterben. Doch die zwei Killer machen einen entscheidenden Fehler: Sie unterschätzen Kristin!

Der 1999 erschienene Roman von Arnaldur Indridason ist eine Mischung aus Spionagethriller und Action-Krimi. In der gekürzten Hörbuchfassung wird das Tempo fast zu schnell, ständig passiert etwas Dramatisches und keine Sekunde bleibt Zeit, Luft zu holen. Unglaubwürdige Wendungen, sehr heftige Gewaltszenen, permanente Lebensgefahr für die junge Isländerin und eine hohe Dosis an Zufall, Glück und Absurditäten verderben fast die Handlung.
Fast kommt Island in diesem Hörbuch nicht vor - ein bisschen Schnee, ein wenig Gletscher und noch weniger Lokalkolorit. Auch die Charaktere bleiben eindimensional. Selbst Kristin ist nur ein Klischee, wird nicht mit Leben gefüllt und bleibt plakativ.
Wären nicht der perfekte Spannungsbogen, die grausam konsequenten Aktionen von Ratoff und die glaubwürdige Militärmaschinerie, die hinter allen Handelnden steht, das Hörbuch wäre ein Desaster. Leider ist das große Finale ein solch unsinniger Brei an politischer Moralpredigt und Amerika-Kritik, gepaart und gewürzt mit ein bisschen Nazi-Quark, dass einem Hören (!) und Sehen vergeht. Hier wird zu dick aufgetragen, zu stark übertrieben, zu sehr auf die Ignoranz der Mächtigen eingeprügelt. Doch bei aller Kritik muss man sich eingestehen, dass es möglich ist, dass sowohl Engländer als auch Amerikaner und schon mit Sicherheit die Nazis dieses Machtspiel, das hier angedeutet wird, durchgezogen hätten, wenn sie es für machbar gehalten hätten. Leider traut man der Nachkriegszeit und den Siegermächtigen inzwischen - in Kenntnis der wahren Verhältnisse des kalten Krieges, der bald darauf einsetzte - alles zu. Und das verdeutlicht der Autor mit seiner "Agentenposse" sehr markant und gewollt plakativ.

Fazit: Dank Sprecher Ulrich Pleitgen gerät die gekürzte Fassung von Gletschergrab zu einem höchst spannenden, reißerischen Krimi. Atemlos folgt man der Geschichte, die allerdings manchmal fast unfreiwillig komisch ist und eher als Parodie eines Agententhrillers erscheint. Personen und Geschehen sind so in dauernder Hast, so permanent in Lebensgefahr, so wahnsinnig erfolgreich in ihren Ermittlungen, dass die Geschichte einfach nicht realistisch wirkt. Nachdem man das Ende überstanden hat, fragt man sich, warum so viele Menschen sterben mussten. Warum diese Wahrheit nicht auch von den Demagogen, den Geheimdienstlern, den Politikern in ihr Gegenteil hätte verkehrt werden können. Dafür muss man nicht morden, Island sich zum Feind machen und viele Millionen Dollar ausgeben, das hätte man billiger haben können.

Stefan Erlemann



CD | CD-Anzahl: 4 | Erschienen: 01. September 2006 | ISBN: 3785732015 | Laufzeit: 270 Minuten | Originaltitel: Napóleonsskjölin | Preis: 19,95 Euro

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