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 Besuch vom Mittagsdämon

Philosophie der Langeweile


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Wenn der Mönch zur Mittagsstunde in seinem Kämmerlein verweilt, macht sich Unruhe in ihm breit, dann wird er rastlos, will etwas unternehmen, die Gesellschaft anderer oder fromme Tätigkeit zu suchen, ist er nicht mehr in der Lage. Und so quält er sich durch diese Zeit, geplagt vom daemonium meridianum, dem Mittagsdämon. Mit anderen Worten, er langweilt sich und kommt auf die seltsamsten Ideen, dem entgegen zu wirken.
Friedhelm Decher spürt diesem Dämon nach und sucht nach Therapien in den zahlreichen verschiedenartigen Überlegungen und Theorien, die berühmte Philosophen von Seneca bis Heidegger darüber angestellt haben. Nach dem einleitenden "Problemaufriß" führt er erst die "Diagnosen" verschiedener historischer Denker zu diesem Thema auf, und gibt danach die "Therapien" derselben wieder, sortiert nach "erfolglosen" und "erfolgversprechenden".
Zu Wort kommen unter anderen Blaise Pascal, für den in der Langeweile "die Nichtigkeit und Leere des Daseins" offenbar werden, Abbé Ferdinando Galiani, nach dem Gott die Welt aus dem Nichts geschaffen hat, welches wiederum die Mutter der Langweile ist, die somit fest in der Welt verankert sein muss, weiterhin Arthur Schopenhauer mit seiner "Lethargie des Willens" und Martin Heidegger, der drei Arten der Langeweile kennt und diese mit Begriffen wie "Hingehaltenheit" und "Leergelassenheit" beinahe mathematisch aufschlüsselt. Weiterhin werden die Theorien von Immanuel Kant, Bertrand Russell und anderer dargestellt. Nach dem Therapieteil, in dem Senecas Vorschlag, den Ort zu wechseln, Sören Kierkegaards Ratschlag, stattdessen "sich selbst auszuwechseln", Heideggers Ermutigung, sich selbst aufzuraffen, und andere aufgeführt werden, kommt Decher zu einer Zusammenfassung unter dem Titel "Heilung?", in der er aus den unterschiedlichen Ausführungen seine Schlüsse zieht. In den nachfolgenden Anmerkungen finden sich zahlreiche Quellennachweise für interessierte Hobby-Philosophen.

Natürlich ist es ein gewagtes Unterfangen, ein Buch über die Langeweile zu schreiben, denn wenn man es falsch angeht, kann man sich des Spottes gelangweilter Kritiker gewiss sein. Aber Decher hat es richtig gemacht: Die teilweise gewagten Analysen dieses Phänomens werden mit gelegentlichem Augenzwinkern präsentiert, die Texte lesen sich trotz teils sehr verzwickter Inhalte locker und flüssig, und Decher ziert sich auch nicht vor Wiederholungen, da sie in den meisten Fällen für mehr Klarheit sorgen. So sind die bisweilen obskuren Gedankengänge der großen Philosophen meist nachvollziehbar dargestellt.
So kurzweilig und informativ das Büchlein auch ist, viel mehr ist es nicht. Decher hat es nicht drauf angelegt, eine Lebenshilfe zu verfassen, und dennoch überlegt man am Ende, wie man selber Langeweile erlebt und ob man jemals genauso lethargisch war vor lauter Untätigkeit, wie scheinbar Schopenhauer, ohne dass es gleich ein krankhafter Dauerzustand war. Im Zeitalter von Zeitvertreiben wie Fernsehen, Handy, Internet-Chat und zeitintensiven Hobby-Aktivitäten hätte eine über den historischen Abriss hinausgehende Verknüpfung zur Gegenwart gut getan.
Mit Punktabzug wird der Satz des Buches geahndet. Kapitelüberschriften einsam am Seitenende (Seiten 55 und 120) und ein Kapitel über Emile Cioran, das mit einem abgebrochenen Satz endet (Seite 91), sind nur die gröbsten Schnitzer in dieser Taschenbuchausgabe. Das ist mangelhaft und schreit nach Überarbeitung.

So ist dies ein informatives und unterhaltsames Buch, das für Kurzweil, gelegentliches Schmunzeln und ganz viel verwundertes Kopfschütteln sorgt; und vielfach drängt sich die Frage auf, ob es nicht der Mittagsdämon war, der diesen Philosophen all diese Merkwürdigkeiten in den Kopf gesetzt hat. Dann legt man das Buch beiseite und widmet sich einer der vielen anderen Formen des Zeitvertreibs, die es ja zum Glück heute gibt.

Stefan Knopp



Taschenbuch | Erschienen: 1. Mai 2003 | ISBN: 9783934920357 | Preis: 14,00 Euro | 157 Seiten | Sprache: Deutsch

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