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 Cthulhu Now: Cthulhu Now


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung


Wir schreiben das Jahr 2006: Die Sterne stehen richtig. Ein kleiner Spieleverlag aus Friedberg outet sich als (unfreiwilliger?) Teil einer weltweiten Verschwörung, die die Rückkehr der Großen Alten vorbereitet. Dies geschieht in einem Regelwerk, welches cthuloiden Horror in der Jetztzeit ermöglichen soll ...

Viel wurde im Vorfeld spekuliert, was denn nun Cthulhu Now ausmachen soll und worin es sich vom klassischen Cthulhu unterscheidet. Ursprünglich war, analog zum Hexer von Salem-Quellenband, ein komplettes Regelwerk mit allen notwendigen Regeln geplant. Damit aber die Besitzer des Spieler-Handbuchs nicht doppelt für diese Seiten bezahlen müssen, entschied man sich dafür, ein Einsteigerregelwerk beizulegen. Dieses ist ein dünner DIN A5-Band, der die wichtigsten Teile des Regelwerkes beinhaltet. Eine nachvollziehbare Entscheidung, da Cthulhu Now nicht wie der Hexer von Salem überwiegend eine andere Zielgruppe als die "klassischen" Cthulhu-Spieler ansprechen wird. Ein nicht informierter Käufer mag aber trotzdem enttäuscht sein, dass ein "vollständiges" Regelwerk aus einem stabilen Hardcover und einem dünnen DIN A5-Band besteht.

Beim Lesen wird recht schnell klar, dass der Band nicht nur cthuloide Runden in der Jetztzeit ermöglichen, sondern gleichzeitig auch ein systemübergreifender Quellenband für Horror in der Moderne sein soll. Angesichts eines insgesamt schrumpfenden Absatzmarktes für Rollenspielprodukte zwar ein verlagstechnisch nachvollziehbarer Schritt, welcher aber im Detail Mängel zeigt. Doch dazu später mehr. Der vorliegende Band ist übrigens keine Übersetzung des gleichnamigen englischen Titels, die Kapitel wurden vollkommen neu zusammengestellt und Inhalte sind höchstens stark überarbeitet übernommen worden. Der Quellenband behandelt so ziemlich alle relevanten Themen und dies inhaltlich gut und ausführlich. Aber dem Leser drängt sich immer wieder folgende Frage auf: Ist das wirklich in dieser Tiefe notwendig beziehungsweise überhaupt spielrelevant?

In Cthulhu Now soll eindeutig ein anderes Spielgefühl als im klassischem Cthulhu aufkommen. Die im Quellenband beschriebene Welt (unsere Welt heute) ist düster. Entfremdung, Irrsinn, Drogen, Sekten, Terror, organisiertes Verbrechen und nicht zu vergessen: SIE! Denn SIE sind überall: Unter der Erde, im Meer, in der Luft, im All, über der Erde, sogar im Internet, einfach überall (eventuell auch in Deiner Nachbarschaft …). Noch stehen die Sterne nicht richtig für die Befreiung des großen Cthulhu, aber die Zeit ist reif für eine Offensive des cthuloiden Gezüchts. Die Weltbeschreibung ist gewollt düster, immerhin ist der Band ein Rollenspielprodukt und keine soziologische Doktorarbeit, was natürlich auch die Verwendung von Vereinfachungen und Klischees bedeutet. Vorgestellt wird also die moderne Welt und die Wechselwirkungen mit den Erscheinungen derselben. Wenn es um den Kampf um die Erde geht, klingt es etwas so, als sei das auf Eis gelegte Endzeitszenario abgeschwächt bei Cthulhu Now im Hinterkopf gewesen. Die Film-Tipps gehen aber eher in Richtung Mystery und Horror. Abschließend bleibt noch zu sagen, dass in diesem Kapitel teilweise Wörter ohne Erklärung vorkommen, die nicht jedem Leser unbedingt etwas sagen müssen.

Die Fertigkeiten der Spielercharaktere bei Cthulhu-Now entsprechen denen der Cthulhu-Basisregeln, welche aus dem Spieler-Handbuch bekannt sind. Im hier abgedruckten Artikel wird ergänzend zum Spieler-Handbuch auf neue Fertigkeiten bei Cthulhu-Now eingegangen, sowie auf einige altbekannte, die in der Moderne andere Anwendungsgebiete und -möglichkeiten haben. Zu erwähnen ist hier vor allem die Einführung von Oberfertigkeiten, vorgeschlagen werden Kriegshandwerk und Überlebenskunst. Damit soll vermieden werden, dass unzählige neue Fertigkeiten erfunden werden "müssen". Cthulhu hat nun einmal, löblicherweise, ein schlankes Regelwerk mit einem schlanken Fertigkeitensystem, letzteres hat aber natürlich auch Lücken. Aber diese können in der Regel mit Rollenspiel oder Würfen auf Idee, Wissen oder Glück geregelt werden. Neue Fertigkeiten mögen manchmal sinnvoll sein, um den Hintergrund eines Berufs noch besser abbilden zu können, aber insgesamt gesehen kann auf eine aufgeblähte Fertigkeiten-Liste gerne verzichtet werden. Aber eine Anpassung auf die moderne Zeit ist natürlich notwendig, wobei sie erstaunlich klein ausfällt.

Nicht nur neue Fertigkeiten, auch neue Berufe gibt es. Diese werden im nächsten Abschnitt beschrieben, welcher eine Ergänzung zur Berufe-Übersicht des Spielerhandbuchs ist. Hier sind Berufstemplates enthalten, die entweder ganz neu sind oder diejenigen des Spieler-Handbuchs ersetzen. Im Übrigen gelten die Berufstemplates des Spieler-Handbuchs weiter und können zur Charaktererschaffung herangezogen werden. Alle Änderungen sind gut hervorgehoben und die Berufe gut auf die Moderne übertragen worden. Das diverse der hier vertretenen Berufe mit Militär, Geheimdiensten oder Polizeieinheiten zu tun haben, zeigt ein wenig, wohin wohl der Zug Cthulhu Now fahren soll.

Cthulhu-Charaktere haben zwei Probleme: Sie sind immer nah am Tod und am Wahnsinn, daher sind psychische Störungen und ihre Behandlung natürlich auch ein Thema dieses Bandes. Den Auftakt machen ein paar gute Ideen zum Thema Wahnsinn in der cthuloiden Moderne, direkt danach wird es aber etwas trocken, denn es folgen Beschreibungen von psychischen Störungen und deren Therapie. Nicht, dass es zu kompliziert geschrieben oder wirklich langweilig ist. Aber: Ist dieser Umfang wirklich notwendig? Wie genau wird denn eine psychische Störung und deren Therapie in den meisten Gruppen ausgespielt? Möchte jeder Cthulhu-Spielleiter ein Hobby-Psychiater werden?

Ähnlich sieht es bei den Kapiteln zu Drogen, polizeilichen Ermittlungsmethoden und Gerichtsmedizin aus, die weiter hinten im Band Platz gefunden haben. Das Kapitel Drogen hätte sicherlich kürzer ausfallen können, außer eine Gruppe möchte Drogenkonsum, Abhängigkeit und Entzug detailliert ausspielen. Die polizeilichen Ermittlungsmethoden sind gut erläutert, beschrieben werden Polizeiaufgaben, Beispielbehörden und Polizeirecht. Sehr interessant, fachlich sicherlich richtig, und die technischen Möglichkeiten lassen einen fast paranoid werden (fast?); wobei auch beschrieben wird, wie man sich dagegen wehren kann. Aber diese Tiefe ist nur dann sinnvoll, wenn Charaktere in einer solchen Behörde arbeiten (am besten die ganze Gruppe) oder Nicht-Spieler-Charaktere aus solchen Behörden die Charaktere überwachen beziehungsweise verfolgen wollen.
Sehr brauchbar sind die Übersichtslisten zu Straftaten, die Charaktere eventuell begehen, und wie hoch die Strafen dazu in den USA und in Deutschland sind. Die genaueren Beschreibungen sind aber viel zu lang, außer ein Spielleiter möchte öfters mal eine Gerichtsverhandlung im Detail ausspielen und wirklich genau überlegen, welches Strafmaß realistisch ist. Wer das alles nicht so detailliert ausspielen möchte, bekommt mehr Informationen, als ihm lieb sind. Dies trifft dann vor allen auch auf die diversen Seiten zum Thema Rechtsmedizin zu, da geht es wirklich zu stark ins Detail.
Insgesamt kann man sagen, dass die Texte zwar inhaltlich korrekt und trotzdem lesbar sind, aber das eine Straffung gut getan hätte. Anscheinend haben die persönlichen Lieblingsthemen der jeweiligen Redakteure einfach zu viel Platz eingeräumt bekommen.

Aber es gibt auch cthuloidere Inhalte, zum Beispiel, wenn es um die Gemeinschaften des Zwielichts geht. Was sind Geheimgesellschaften? Was sind ihre Methoden und Ziele? Vorgestellt werden dabei normale und cthuloide Gruppen. Die allgemeinen Ideen sind interessant, aber insgesamt gesehen ist das Kapitel zu wenig cthuloid. Ein großer Konzern als Meta-Plot ist etwas wenig, auch wenn andere Gruppierungen kurz ihren Platz finden. Aber die Beschreibungen der realen Gruppierungen sind nichts, was man nicht schnell im Internet selbst recherchieren kann, und ehrlich gesagt: Warum liest man in einem Rollenspielprodukt etwas zu ETA oder IRA, wenn es keinen Einbau in den Spielhintergrund gibt?

Sehr genau werden moderne Medien und die Internetnutzung beschrieben, leider etwas trocken. Wirklich gelungen sind dann aber die Ideen, wie man das cthuloid nutzen kann, denn Internet und Handy sind nicht nur hilfreich für die Charaktere, sondern können ihnen auch gefährlich werden. Auch Themen wie kollektives oder künstliches Bewusstsein, Quanten- und Bio-Computer, Meme und mehr finden hier ihren Platz.

Zu guter Letzt kommt dann der Kapitel, worauf die Freunde dicker Knarren schon gewartet haben: Ausrüstung, Waffen und Fahrzeuge. Natürlich ist nicht alles im Laden um die Ecke erhältlich, aber eventuell kommen die Charaktere ja von Beruf wegen oder zufällig an diese Dinge heran. Hier findet man auch heraus, ob man Hartkerngeschosse mit panzerbrechender Munition mixen kann …

Zwei Abenteuer sind enthalten: "Die schreckliche Welt des Paul Wegner" von Ole Johan Christiansen und Thomas Plischke sowie "Eisige Tiefen" von Hendrik Ebbers. Inhaltlich sind sie sehr verschieden und stehen wohl für zwei mögliche Cthulhu Now-Spielweisen.
"Die schreckliche Welt des Paul Wegner" ist ein ziemlich derbes Abenteuer, welches sich mit psychischen Störungen und sexuellen Abnormitäten beschäftigt. Mehr soll hier nicht verraten werden, da sonst schnell ein Spoiler passiert ist. Jedenfalls ein nicht uninteressantes Abenteuer, es lebt aber hauptsächlich von der Idee und dem Setting. Die Thematik wirkt sehr modern, dürfte aber nicht für jeden etwas sein. Abgesehen davon ist das Abenteuer nicht allzu cthuloid im eigentlichen Wortsinne.
"Eisige Tiefen" ist ein klassischer Shoot Out, der wohl hauptsächlich von der Atmosphäre leben soll. Die starke Actionlastigkeit lässt zusammen mit manchen Aussagen im Quellen- und Regelteil vermuten, dass in Cthulhu Now das Geballere mehr werden wird, als in den klassischen Runden. Das Abenteuer könnte aber ebenso gut in den 1920ern spielen und ist - wie gesagt - nicht allzu anspruchsvoll.

Am Layout gibt es nichts zu mäkeln, natürlich ist es hier anders als bei der klassischen Linie, aber es ist passend und ansehnlich. Ein Lesebändchen wurde dem Hardcover spendiert, passende Charakterbögen sind natürlich auch enthalten.

Insgesamt gesehen hängt der (Spiel-)Wert dieses Bandes - aufgrund der oben beschriebenen Problematiken - sehr stark von den persönlichen Vorlieben der jeweiligen Gruppe ab. Unabhängig vom Sinn der Tiefe der Texte hätte dem Band etwas mehr cthuloider Flair gut getan. Andererseits kann man es auch als Vorteil sehen, dass er auch für andere Horrorrollenspielsysteme geeignet ist.
Auch wird nicht ganz klar, wie sich die Redaktion Cthulhu Now vorstellt. Man kann es natürlich als Vorteil sehen, dass das Spiel mehrere Spielarten zulässt, aber erst die weiteren offiziellen Produkte werden zeigen, wie das offizielle Cthulhu Now aussehen wird. Hilfreich sind die in Kästen abgesetzten Abenteuer- und Kampagnenideen in den einzelnen Kapiteln.
Der vorliegende Band bietet einen guten Überblick über unsere Welt, wie sie für ein Horror-Rollenspiel einsetzbar ist. Er ist aber etwas zu viel Sachbuch und zu wenig Rollenspielmaterial.

Bernd Wachsmann



Hardcover | Erschienen: 01. Oktober 2006 | ISBN: 9783937826752 | Preis: 29,95 Euro | 244 Seiten | Sprache: deutsch

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