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 Russlands Seele

Ikonen, Gemälde, Zeichnungen aus der Tretjakow-Galerie Moskau


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis


Im Jahr 2006 wurde das bedeutendste russische Kunstmuseum, die Tretjakow-Galerie in Moskau, 150 Jahre alt. Aufgrund dieses Jubiläums veranstaltet die Bonner Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland eine Ausstellung mit 150 bedeutenden Werken aus der Tretjakow-Galerie (16.05.-26.08.2007); bei dem hier besprochenen Buch handelt es sich um den Ausstellungskatalog, zugleich aber um ein kunst- und kulturgeschichtliches Werk.

Insgesamt zwölf Essays zur russischen Kunst und ihren Förderern sind in diesem Buch versammelt. Zwei von ihnen befassen sich mit dem Kaufmann Pawel Tretjakow, der, obschon Laie, eine außerordentlich hochwertige Sammlung nationaler Kunst anlegte mit dem Ziel, diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, beziehungsweise mit den Moskauer Förderern russischer Kunst von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zur Revolution. In den anderen Essays geht es in chronologischer Reihenfolge um Entwicklungen und Stilrichtungen in der russischen Kunst, beginnend mit der altrussischen Kunst über das so genannte "Petersburger Jahrhundert", die russische Umsetzung von Romantik und Biedermeier, die revolutionäre Gruppe der "Wanderer", die Entwicklung der russischen Porträtmalerei zwischen 1870 und dem frühen 20. Jahrhundert (einschließlich der Hinwendung zu ungeschönten Porträts ganz alltäglicher Menschen), die Historienmalerei und ihre Entwicklung im 19. Jahrhundert, den russischen Symbolismus, die Rezeption russischer Kunst in Deutschland um 1900 und die Grafikabteilung der Tretjakow-Galerie bis hin zu den Skulpturen der Sammlung, die aus dem 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert stammen.
Eingebettet in den jeweiligen Essay - oder an dessen Ende - und darin erwähnt, oft auch kommentiert, findet man großformatige Abbildungen der in der Ausstellung enthaltenen Werke. Die Essays sind zudem mit Fotos bedeutender Persönlichkeiten, Gebäude, Urkunden und so weiter illustriert.
Der eigentliche Katalog schließt sich an die Essays an und ist unterteilt in die Abteilungen "Ikonen", "Gemälde", "Zeichnungen" und "Skulpturen". Zu jedem Künstler findet der Leser eine Kurzbiografie, gefolgt von seinen in der Ausstellung präsentierten Werken, deren Kenndaten und zum Verständnis hilfreichen Informationen.

In Westeuropa wurde die russische Kunst kaum zur Kenntnis genommen, obwohl sie, insbesondere im Zuge der Neuausrichtung nach etwa 1850, einen erstaunlichen Reichtum an Stilen und persönlichen Ausdrucksformen entwickelt hat und mit einer Reihe außergewöhnlicher Künstler, beispielsweise Ilja Repin, Valentin Serow, Wassili Surikow, Michail Lebedew, Isaak Lewitan, Konstantin Makowski, Pawel Fedotow, Nikolai Ghe, Iwan Kramskoi und Iwan Schischkin aufwarten kann. Im Essay über die Rezeption russischer Kunst im Deutschland der Jahrhundertwende klingt an, dass manchem Kritiker die Werke aus dem Osten nicht klassisch europäisch genug waren. Man störte sich etwa an den Darstellungen des Elends der Bauern und den Historienbildern mit ihren mystischen Anklängen.
Die Essays geben einen gründlichen und sehr interessanten, auch für Laien bestens verständlichen Überblick über die Strömungen und Entwicklungen in der russischen Kunst, insbesondere während der wichtigen Phase von 1850 bis Anfang des 20. Jahrhunderts, und ihrer Rezeption vor allem in der russischen Gesellschaft. Unter anderem werden außerdem die im Russland dieser Epoche stark ausgeprägten Wechselwirkungen zwischen der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik deutlich, ebenso wie die in vielen Bildern anklagend oder bedrückend enthaltene Gesellschaftskritik, die vor allem auf die Situation der Bauern eingeht. Sehr informativ sind zudem die Ausführungen über die Persönlichkeit des auch aus europäischer Sicht herausragenden Kunstsammlers und Stifters Pawel Tretjakow und die Geschichte seiner Galerie.
Die unmittelbare Einbettung vieler der durchweg hochwertig reproduzierten Kunstwerke in den jeweiligen Essay und somit in den Kontext vermeidet unnötiges Blättern und fördert das Verständnis für die Werke in ihrem kunst- und kulturhistorischen Umfeld.
Manches Werk fasziniert und fesselt den modernen westeuropäischen Betrachter, ohne dass sich ihm Gehalt und Aussage von selbst erschließen, so zum Beispiel die Figur eines Schamanen bei einer Bauernhochzeit, der religionshistorische Hintergrund der Verhaftung und Hinrichtung von Wassili Surikows beeindruckender "Bojarin Morosowa" und auch der Symbolgehalt vieler Landschaften, die Russland und seine "Seele" widerspiegeln. Die zum Verständnis notwendigen Informationen werden zusammen mit vielen Hinweisen auf interessante Details im Katalogteil des Buchs vermittelt.
Erwähnt werden sollten zudem die Grafik- und die Skulpturensammlung, die ebenfalls ausgesprochen sehenswert sind und ebenso sorgfältig kommentiert und interpretiert werden wie die Gemälde und die prachtvollen Ikonen.
Das sehr ansprechend aufgemachte Buch ist somit wesentlich mehr als ein Ausstellungskatalog, auch wenn es natürlich wertvolle Dienste als Ausstellungsbegleiter und zur Vor- und Nachbereitung eines Ausstellungsbesuchs leistet: Es vermittelt anhand sorgfältig ausgewählter Werke und Künstlerviten sowie der hervorragenden Essays den Zugang zur russischen Kunst mit all ihren Facetten und ist damit auch unabhängig von der Ausstellung sehr zu empfehlen.

Regina Károlyi



Softcover | Erschienen: 01. Mai 2007 | ISBN: 9783777434858 | Preis: 39,90 Euro | 372 Seiten | Sprache: Deutsch

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