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 Die letzten Tage von Europa

Ein Kontinent verändert sein Gesicht

Autoren: Walter Laqueur
Verlag: Propyläen

Cover
Gesamt +----
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis


Europa, ein Kontinent, der seinen eigenen Niedergang verschläft? Ein Ort, wo die Gefahren von sinkenden Geburtenraten und muslimischer Einwanderung sträflich vernachlässigt werden? Ja, wenn man Walter Laqueur und seinem Buch "Die letzten Tage von Europa" glaubt.
Dieser zweihundertfünfzig Seiten starke Essay gliedert sich, nach Vorwort und Einleitung, in sechs Kapitel, die zum Teil noch Unterkapitel haben (immer abwechselnd ein kleines Kapitel und ein großes). Abgeschlossen wird das Buch mit einem kurzen Nachwort und einem thematischen Literaturverzeichnis.

Das Vorwort ist sehr persönlich gehalten und gibt dem Autor kurz die Möglichkeit, sich zu seinem Forschungsthema zu äußern. Hier erfährt der Leser, dass es nach Laqueurs Meinung Zeit für eine Bilanz über Europa war - seine Ansichten finden sich auf den folgenden Seiten.

Die Einleitung besteht aus den Teilen "Eine Kurzreise durch das neue Europa" und "Die letzten Tage des alten Europa". Hier erzählt der Autor von den neuen, exotischen Migrantenvierteln und Vororten, die sich in den Städten Europas bilden und ein düsteres Zukunftsmodell für Europa bedeuten. Zudem werden die früheren, sehr positiven Zukunftsaussichten für Europa, die viele von Laquers Kollegen noch vor kurzem zeichneten, scharf kritisiert. Auch das nächste Problemthema wird hier schon angeschnitten: die schrumpfenden Geburtenraten der europäischen Länder.
Es folgt das Zwischenkapitel "Das schrumpfende Europa". Hier beschäftigt sich der Laqueur vollauf mit der Demografie. Es werden düstere Zukunftsszenarien für ein überaltertes Europa gemalt und auch gleich die Schuldigen an der Lage geliefert (die Frauen). Zudem wird auf die Thesen eingegangen, wie diese Veränderungen sich auf ein zukünftiges Europa auswirken werden, so zum Beispiel, ob Europa islamisch werden wird.

Das erste größere Kapitel "Wanderungsbewegungen" besteht neben einer Einführung aus den Teilen Deutschland, Frankreich und Großbritannien, sowie drei Teilen zum Thema Islam in Europa. Doch schon in der Einführung wird auf die Probleme der Einwanderung und Integration von Muslimen eingegangen. Bei diesen bemängelt der Autor besonders die Opferrolle der Migranten, ihren fehlenden Integrationswillen und Eigenleistungen, die im Vergleich zu frühern Einwanderern, die ohne staatliche Hilfe auskommen mussten, katastrophal seien. In den Unterkapiteln wird noch mal speziell auf die muslimische Zuwanderung eingegangen und die Haltung der Einwanderer sowie der Sozialstaat stark kritisiert. Im Grunde wiederholt der Autor hier nur seine vorigen Thesen und baut sie in einigen Fällen stärker aus.

Das nächste Einzelkapitel beschäftigt sich mit dem "Langen Weg zur europäischen Einigung". Nachdem der Weg bis zur bisherigen europäischen Einigung von frühesten Versuchen an kurz beschrieben wurde, werden hier vor allem einzelne Staaten und ihre Interessen, sowie der komplizierte Apparat der EU kritisiert. Dabei schlägt der Autor neben der deutlichen Europakritik auch die eine oder andere Lobeshymne auf Amerika an, zum Beispiel wenn es um die Verteidigungspolitik geht.
Danach folgen Erläuterungen zum Thema "Probleme mit dem Wohlfahrtstaat", wieder unterteilt in Deutschland, Frankreich und Großbritannien und ergänzt durch Italien und Spanien. Auch hier geht die Kritik an der Idee einer zivilen Supermacht weiter - und zwar noch bevor wirklich vom Wohlfahrtsstaat die Rede war. Der wird dann auch eher aus wirtschaftlicher Sicht und in den für dieses Buch gewohnt euroskeptischen Tönen beschrieben. Immerhin werden hier häufiger Bezüge zu anderen Quellen angegeben, zumeist andere Bücher oder Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften. In den Unterkapiteln wiederholt sich, dass sich hier vor allem mit Wirtschaft beschäftigt und eben etwas spezieller auf die einzelnen Länder - oder besser ihre Probleme und Fehler - eingegangen wird.

Es folgt das Zwischenkapitel "Rußland - ein trügerischer Aufbruch?" Hier wird das heutige Russland mit Deutschland nach dem ersten Weltkrieg verglichen. Schuld an der schwierigen Lage hätten auch die Reformen von Gorbatschow. Nach einem kurzen Schwenk in die Jelzin-Ära folgt die Zusammenfassung der Putin-Jahre.

Abgeschlossen wird das Buch mit dem großen Kapitel "Die gescheiterte Integration und Europas Zukunft". Hier wird gefragt, was mit Europa "schief gelaufen" sei und was bleiben wird. Zudem wird noch mal auf die Muslime in den großen europäischen Staaten eingegangen, nach dem vereinten Europa und dem Wohlfahrtstaat gefragt sowie über einen eventuell entstehenden binationalen Staat und die Türkeifrage diskutiert.
Das Kapitel beginnt dabei mit der Frage nach dem Niedergang Europas und wie dieser Kontinent überhaupt so lange seine Macht behaupten konnte. Danach geht es über einen kurzen Abstecher durch die Geschichte der Migrationsbewegungen zurück zu den Thesen aus dem Kapitel "Wanderungsbewegungen".
In dem Teil über die Einigung Europas werden die Problemfelder wie Energieversorgung und Verteidigungspolitik kurz angesprochen, bevor sich der Autor dem Wohlfahrtsstaat widmet, oder besser dessen Niedergang. Bei dem binationalen Staat geht es um die Möglichkeit, dass einige muslimisch dominierte Regionen Europas eine stärkere Autonomie fordern werden. Zudem folgt ein Exkurs über die muslimische Jugendkultur. Der Bereich Türkei wird nur sehr kurz angeschnitten und kann nicht mehr als ein paar Fakten und Thesen bieten.
Im Nachwort bekräftigt der Autor nochmals seine These vom Niedergang Europas, erklärt aber auch etwas versöhnlicher, dass das neue Europa sehr anderes sein wird, aber nicht unbedingt der schlechteste Ort zum Leben sein muss.
Zum Schluss findet sich noch ein thematisch sortiertes Literaturverzeichnis.

Um eins klarzustellen: bei diesem Buch handelt es sich um einen Essay, was sich an den meisten Stellen stark bemerkbar macht. Der recht populistische, sehr subjektive Text strotzt vor Behauptungen und bietet wenig Nachweise. Zudem wartet der Essay mit einem Autor auf, der von sich behauptet - pardon - die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, und Kollegen, die andere Meinungen als die seine vertreten, mal eben die Sachkenntnis abspricht.
Doch die Sachkenntnis von Europa ist gerade zu Beginn des Buches ein großes Problem des Autors. In seiner schauerlichen Einführung der Großstädte unseres Kontinents beschreibt Walter Laqueur unter anderem den Berliner Bezirk Wedding als eine gesetzlose Zone, in der man sich ohne Waffen abends nicht auf die Strasse wagen kann. Die Rezensentin lebt seit ihrer Geburt in eben diesem Bezirk und konnte sich bisher gefahrlos und ohne jegliche Bewaffnung bewegen - zu jeder Tages- und Nachtzeit. Hier kommt natürlich die Frage auf, wie gut der Autor denn nun die beschriebenen Städte wirklich kennt. Vielleicht doch nur aus Boulevardzeitungen? Denn ein bisschen wirken die beschrieben Horrorszenarien schon wie aus den Redaktionen eben dieser Blätter.
Auch widerspricht der Autor sich gerne mal. So bemängelt der Autor, dass muslimische Eltern ihren Töchtern die Bildung mehr oder weniger verweigern. Auf der anderen Seite bemängelt der Autor die europäischen Frauen, da diese glauben, arbeiten gehen zu müssen. Denn schließlich wäre gerade jetzt, in Zeiten einer dramatisch sinkenden Geburtenrate bei gleichzeitigem vorhandenen Wohlstand die Zeit, wo sich die Frauen das Kinder kriegen wirklich leisten können. Warum Frauen nun aber lieber arbeiten gehen, anstatt zu Hause zu bleiben (und das nicht nur in Europa), wird genauso wenig beleuchtet, wie die Frage, warum sich Männer an der Erziehung nicht viel stärker beteiligen, wo sie es sich doch zum ersten Mal leisten könnten.
Ein bisschen wirkt diese Kritik so, dass Frauen an Bildung und Kultur beteiligt werden sollten, solange sie danach zu Hause bleiben und sich um Heim und Familie kümmern. Ob dies wirklich so ist, kann der Leser nicht klären, da der Autor auf dieses Thema nicht mehr wirklich eingeht.
Auch wird die Ghettobildung und der damit verbundene Abstieg dieser Gegenden in den Städten stark kritisiert. Erholungen von Stadtteilen, wo Wohnungen saniert wurden und die so besser verdienende Menschen anziehen, werden allerdings schnell verworfen mit dem Kommentar, dass es sich um "Yuppies" handelt und nicht um Migranten. Was dies nun für diese Viertel bedeutet, ob es zu Verdrängungsprozessen kommt oder ob sich einfach "Reichen-Ghettos" bilden, wird nicht erklärt und so bleibt der Leser vor diesem Kritikpunkt etwas ratlos stehen.

Auch machen sich in diesem Essay klare Feindbilder aus: Neben der verschlafenen Demographie sind es der Sozialstaat und die (nicht näher benannten) Linken. So deutet der Autor mehrmals an, es wäre wohl besser, wenn man Einwanderern, wie früher, keine Hilfen mehr zukommen lässt oder wenn, dann höchstens den Zugang zum Arbeitsmarkt gewährleistet. Die Linken sind grundsätzlich Schuld, dass es soweit kam, weil sie nicht der Realität in Auge sehen wollen und so den Radikalen noch mehr zuspielen. Hier wäre es wünschenswert gewesen, der Autor hätte sich mit den Parteien und Organisationen, besser noch mit deren Programmen wenigstens etwas genauer auseinandersetzt - oder diese benannt, damit der Leser dies zur Not auch alleine tun kann.
Ein etwas blinder Punkt betrifft auch die positive Sicht des Autors auf die USA und seine negative Einstellung zu Europa. Beide Punkte scheinen eher emotional begründet als auf wirklichen Fakten gebaut und helfen der Glaubwürdigkeit des Buches nicht weiter, sondern verdeutlichen lediglich seine Position als persönliche Meinung. Was für den Leser kein Problem wäre, wenn diese auch als solche erkenntlich gemacht würde. So findet der Leser wieder nur unbewiesene Behauptungen.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Länge des Textes. Obwohl sich der Autor oft wiederholt, sogar soweit, dass man beim Lesen das Gefühl hat, Textpassagen schon mal vor Augen zu haben - der Text wirkt seltsam oberflächlich. Probleme werden höchstens kurz beschrieben, oft nur angeschnitten. Es folgt keine Reflexion oder eine wirkliche Diskussion der Situation und von Lösungsansätzen. Das Buch hätte so gut um hundert Seiten und mehr gekürzt werden können - vielleicht hätte das die Qualität sogar gesteigert und die Thesen des Autors zugespitzt.

Die Längen geben dem Buch schließlich, neben seinem voreingenommenen Ton, den Rest. Letztendlich hat man einen Essay mit düstersten Zukunftsaussichten in der Hand, die sich so nicht beweisen lassen und auch nicht wirklich als Grundlage für die Diskussion dienen.
Im Grunde kann man das Buch lesen, dem Autor zustimmen oder nicht - aber das war es. Dieses Buch regt nicht wirklich zum Nachdenken an und wenn, ist man auf viele andere Quellen angewiesen, um sich tief greifende Informationen zu beschaffen - denn mit diesem Buch lässt Walter Laqueur seine Leser ohne wirkliche Informationen im Regen stehen.

Susanne Fischer



Hardcover | Erschienen: 01. September 2006 | ISBN: 9783549073001 | Preis: 19,90 Euro | 255 Seiten | Sprache: Deutsch

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