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 Zamonien: Die Stadt der Träumenden Bücher

Serie: Zamonien
Autoren: Walter Moers
Verlag: Piper

Cover
Gesamt +++++
Aufmachung
Brutalität
Humor
Spannung


Ich muss ehrlich gestehen, anfangs hat es mich in keinster Weise gereizt, einmal einen der Romane von Walter Moers in die Hände zu nehmen, geschweige denn zu lesen. Dabei war es lediglich der stete Hintergedanke an "Das kleine Arschloch", der mich davon abhielt, mich für Moers’ weitere Werke groß zu interessieren. Und das nicht etwa, weil mir "Das kleine Arschloch" nicht gefallen hätte oder ich es missbilligen würde - da ich nicht einmal den Film kenne, würde ich mich hüten, mir darüber eine Meinung zu bilden -, nein, das Thema interessiert mich schlichtweg nicht. Umso überraschter und erfreuter war ich, als sich mir zum ersten Mal eine Tür in das zauberhafte Reich Zamoniens auftat. "Ensel und Krete" fiel mir als Hörbuchfassung in die Hände und da ich Dirk Bach schon seit seiner "Scheibenwelt"-Lesungen als Sprecher liebe, wanderten die CDs sofort in meinen CD-Player. Und obwohl ich im Nachhinein sagen kann, dass "Ensel und Krete" das wohl schwächste Werk aus Walter Moers’ Feder ist, war ich von Anfang an von seinem Stil fasziniert. Mit "Die Stadt der Träumenden Bücher" erschien nun im September 2004 der neueste Roman des deutschen Schriftstellers und bereits zum vierten Mal entführt Walter Moers seine Leser auf den fantastischen Kontinent Zamonien.

Ja, ich rede von einem Ort, wo einen das Lesen in den Wahnsinn treiben kann. Wo Bücher verletzen, vergiften, ja, sogar töten können. Nur wer wirklich bereit ist, für die Lektüre dieses Buches derartige Risiken in Kauf zu nehmen, wer sein Leben auf´s Spiel setzen will, um an meiner Geschichte teilzuhaben, der sollte mir folgen. Allen anderen gratuliere ich zu ihrer feigen, aber gesunden Entscheidung, zurückzubleiben. Macht’s gut, ihr Memmen! Ich wünsche euch ein langes und sterbenslangweiliges Dasein und winke euch in diesem Satz Adieu!

Mit diesem Auszug, der den einleitenden Worten des Lindwurmfestedichters Hildegunst von Mythenmetz entnommen ist, wirbt der Piper-Verlag auf dem Buchrücken für Walter Moers neuen Roman. Und tatsächlich: Es scheinen wahre Worte zu sein, die der Dichter schon zu Beginn seiner Geschichte von sich gibt! Denn der Dinosaurier hat wahrhaft fantastisches zu berichten.

Es ist ein trauriger Tag für den jungen Dinosaurier Hildegunst von Mythenmetz, als sein Dichtpate Danzelot von Silbendrechsler im Alter von achthundertachtundachtzig Jahren seinen letzten Atemzug macht. Doch noch auf dem Sterbebett erzählt Danzelot seinem Schüler von einem Manuskript, das ihm einst von einem unbekannten Absender zugeschickt wurde, um es zu beurteilen. Obwohl nur ein handgeschriebenes Schriftstück, war Danzelot so überwältigt von diesem perfekten Stück Literatur, dass er selbst das Schreiben angesichts der Tatsache, dass er niemals so Vollkommenes schaffen könne, aufgab. In einer Antwort riet er dem Verfasser, nach Buchhaim, der Stadt der Bücher, zu gehen und sich dort verlegen zu lassen. Doch wie Danzelot sich nach langen Jahren eingestehen muss, war dieser Rat ein großer Fehler, denn gerade in Buchhaim gibt es viele Neider, die zudem nur wenige Skrupel haben. Von dem unbekannten Verfasser hat Danzelot seit seinem Ratschlag nichts mehr gehört und stirbt mit dem nagenden Gedanken, dass er den Untergang dieses Talents heraufbeschworen haben könnte. Als Mythenmetz das Manuskript schließlich selbst liest, ist auch er hellauf begeistert und ihm wird klar, dass Danzelot Recht gehabt hatte: mit diesem Schriftstück hielt er etwas Vollkommenes in seinen Klauen. Um herauszufinden, was tatsächlich aus dem Verfasser geworden ist, beschließt Mythenmetz nach kurzem Zögern, sich auf die Suche nach dem Unbekannten zu machen und herauszufinden, was mit diesem geschehen ist. So macht sich der Dinosaurier auf den Weg nach Buchhaim - einer Stadt, die alle seine Träume wahrwerden zu lassen scheint. Bücher über Bücher, alte, neue, kostbare, billige, schäbige, teure. Eine Zeit lang scheint es, als verliere sich Mythenmetz in all den Wundern dieser Stadt, doch dann besinnt er sich wieder auf den eigentlichen Zweck seines Aufenthalts und beginnt mit den Nachforschungen. Schon bald werden einige zwielichtige Gestalten auf den jungen Dichter aufmerksam, der mit einem so perfekten Stück Literatur in der Tasche quer durch Buchhaim marschiert und es jedem unter die Nase hält und nach dem Verfasser fragt. Es kommt, wie es kommen muss: Hildegunst von Mythenmetz wird hereingelegt und als der Lindwurm wieder zu sich kommt, befindet er sich in den berüchtigten Katakomben von Buchhaim - dem Revier der Bücherjäger, der Heimat gefährlicher Kreaturen und dem Reich des schrecklichen Schattenkönigs...

"Ein Roman aus Zamonien von Hildegunst von Mythenmetz - Aus dem Zamonischen übersetzt und illustriert von Walter Moers" - so heißt es zu Beginn des Buches. Walter Moers setzt damit eine Idee fort, die in "Ensel und Krete" seinen Anfang fand - noch gut erinnert sich der Leser an die "Mythenmetz’sche Abschweifung" -, indem der er auf die Werke von Hildegunst von Mythenmetz, einem der genialsten und erfolgreichsten Schriftsteller Zamoniens, zurückgreift und diese ins Deutsche übersetzt. Mythenmetz selbst sagt dazu im Interview auf www.zamonien.de, dass Walter Moers durch ein Dimensionsloch in dessen Wohnung gegangen und direkt in seinem Arbeitszimmer - dem des großen Schriftstellers - gelandet sei. Man sei ins Gespräch gekommen und nachdem er Moers sein neuestes Werk "Ensel und Krete" gezeigt hatte, sei dieser sofort interessiert gewesen, es ins Deutsche zu übertragen. Lange hat sich Walter Moers gefragt, welches Werk des Zamoniers er wohl als nächstes übersetzen solle und hat sich schließlich dazu entschieden, chronologisch vorzugehen. Da aber das erste veröffentlichte Buch Hildegunst von Mythenmetz’ - das den Titel "Reiseerinnerungen eines sentimentalen Dinosauriers" trägt - ein Werk mit über 10.000 Seiten umfasst, verteilt auf 25 Bände, hat sich der Übersetzer entschlossen, zu Beginn nur die ersten beiden Kapitel zu übertragen - die zusammengenommen eine Geschichte für sich sind - und unter dem Titel "Die Stadt der Träumenden Bücher" herauszugeben.

Ich brauche wohl nicht erwähnen, dass der geschilderte Inhalt des vorangehenden Absatzes nicht ganz der Wahrheit entspricht. - Doch allein der Umstand, dass Walter Moers sich einen solchen Hintergund für seinen Roman ausgedacht hat, um diesen aus Sicht des zamonischen Lindwurmfestedichters schreiben zu können, weist auf die Güte des vorliegenden Buches hin. Zudem baut Moers diese Fiktion während des Romanes noch weiter aus und es enstehen wunderbare Parallelen zu beschriebenen Gegebenheiten, auf die Mythenmetz bereits in "Ensel und Krete" - welches der Dichter ja zu einem viel späteren Zeitpunkt als seine "Reiseerinnerungen eines sentimentalen Dinosauriers" verfasst hat - unter Verwendung seiner "Mythenmetz’schen Abschweifung" hingewiesen hatte; so erfährt der Leser zum Beispiel von der ersten Begegnung zwischen Hildegunst von Mythenmetz und Laptantidel Latuda und wie es dazu kam, dass dieser später der größte Kritiker des Dichters werden sollte.
Solche und ähnliche kleinere Einfälle sind es, die den Leser begeistern und für sich gewinnen können, und die sich nach und nach zu einem großen, geschlossenen Ganzen zusammensetzen; oft erkennt man als Leser erst rückblickend einen Zusammenhang zwischen einem bereits gegebenen Hinweis und dem Verlauf der Geschichte. Dabei lässt Walter Moers seiner Fantasie freien Lauf: ob Bücherjäger, Spinxxxxe, Harpyre, Eydeeten, Schrecksen, Gefährliche Bücher, Trompaunen, Schreckliche Buchlinge oder der Schattenkönig selbst - in Buchhaim, der Stadt der Träumenden Bücher, und seinen bedrohlichen Katakomben tummeln sich alle nur erdenkbaren Kreaturen, Geschöpfe und Bücher. Einen großen Abschnitt seines geschilderten Abenteuers verbringt Mythenmetz bei den Schrecklichen Buchlingen und es dauert nicht lange, bis der Leser diese putzigen kleinen Kerle, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das Gesamtwerk eines Dichters auswendig zu lernen und laufend zu zitieren, fest in sein Herz geschlossen hat. Und während die Schrecklichen Buchlinge die heimlichen Helden der Geschichte sind, rechnet Walter Moers kräftig mit dem gesamten Literaturbetrieb ab; Niemand, der in dieser Branche tätig ist, bleibt verschont. Seien es Agenten, Händler, Antiquare, Kritiker oder gar Schriftsteller - verbunden mit einer herrlichen Selbstironie des Autors bekommen sie alle durch zahlreiche sarkastische Seitenhiebe ihr Fett weg.
Da Walter Moers seinen Protagonisten Hildegunst von Mythenmetz begeistert durch die Straßen Buchhaims wandern lässt und der Dinosaurier auch lange Strecken in den Katakomben der Stadt ohne Begleitung zurücklegt, kommen Abschnitte, in denen sich der Dichter lediglich auf das Beschreiben seiner Umgebung beschränkt, nicht selten vor. Obwohl mit einer Unmenge phantastischer Ideen gespickt, ziehen diese sich nach einer bestimmten Länge zugegebenermaßen dann doch etwas hin, sodass man sich nach dem nächsten Dialog, der nächsten Begegnung mit einem anderen, vielleicht noch bizarreren Lebewesen sehnt und diesen erwartungsvoll entgegenfiebert. Betrachtet man jedoch "Die Stadt der Träumenden Bücher" in seinem gesamten Umfang, so ist dies kein Punkt, der sonderlich ins Gewicht fallen würde - zu fantastisch, zu humorvoll, zu einfallsreich, zu überzeugend, kurz: zu gut ist dafür die Qualität von Walter Moers’ bisher bestem Roman. Kleinere grammatikalische Fehler, die Moers dabei ab und an unterlaufen und für die man jeden anderen Schrifsteller wohl kritisieren würde, fallen dem begeisterten Leser der "Zamonien"-Romane schon kaum mehr auf, denn sie gehören genauso zum Stil des Schriftstellers wie sein Humor oder seine Fantasie.

Doch nicht nur Text und Handlung sind es, die den Leser begeistern können; es sind auch die zahlreichen Details, die das Auge entdecken kann. Neben einem gelbfarbenen Lesebändchen und einem prächtigen Schutzumschlag, die das übergroße Hardcover-Buch zieren, hat der Autor "Die Stadt der Träumenden Bücher" - wie auch bereits seine vorangegangenen Romane - selbst illustriert. So begleiten zahlreiche Vignetten, die nicht nur Moers Worte unterstützen und die Atmosphäre der Handlung verstärken, sondern auch in ihrem Stil hervorragend zum geschriebenen Text passen, durch die Abenteuer des Lindwurms. Gleichzeitig lassen sie dem Leser jedoch auch noch den Freiraum, die eigene Vorstellungskraft einzusetzen und Moers fantastischen Wesen Konturen zu verleihen. Auch die Kapitelnummern bieten etwas für das Auge, denn es handelt sich dabei um zamonische Zahlen, welche auf einem Achter-System beruhen. Wieviele Kapitel das Buch nun tatsächlich hat - in arabischen Ziffern ausgedrückt -, weiß man ohne nachzurechnen am Ende zwar nicht, mit 458 Seiten ist "Die Stadt der Träumenden Bücher" allerdings auf jeden Fall umfangreich genug, um einige gemütliche und spannende Stunden Lesegenuss zu sichern.

Eines sei noch erwähnt: In seinem Nachwort als Übersetzer erzählt Walter Moers nicht nur ein wenig über die Übertragung von "Die Stadt der Träumenden Bücher", sondern er fordert seine Leser weiterhin auf, ihm bei einer wichtigen Entscheidung zu helfen, nämlich der, welchen Teil von Mythenmetz’ "Reiseerinnerungen eines sentimentalen Dinosauriers" er als nächstes "übersetzen" soll. Dabei stehen zwei Möglichkeiten zur Wahl: Würde man chronologisch weiterübertragen, so kämen nun die Abenteuer des Dichters in der Friedhofsstadt Dullsgard zum Zuge; wollte man aber direkt an die Handlung der "Stadt der Träumenden Bücher" anknüpfen, so bliebe die Möglichkeit, Mythenmetz’ Erlebnisse zu übersetzen, die sich später in seinem Leben ereigneten, als es den Dichter nochmals nach Buchhaim verschlug, und die Mythenmetz zu einer Geschichte über das Volk der Schrecklichen Buchlinge verarbeitete. Ich weiß nicht, welches der beiden Themen spannender klingt, doch die Schrecklichen Buchlinge haben den Vorteil, dass der Leser sie nun bereits kennen und lieben gelernt hat. Wofür auch immer sich die Leser und der Autor entscheiden, eines ist wohl gewiss: Man darf sich auf ein weiteres spannendes Abenteuer aus Zamonien freuen! Und bis es soweit ist, kann sich der Leser die Wartezeit mit dem Hörbuch zu "Die Stadt der Träumenden Bücher" verkürzen, welches im November 2005 erscheinen soll, und nochmals die fantastischen Abenteuer des jungen Lindwurms durchleben.

Fazit:
Nach "Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär", "Ensel und Krete" und "Rumo & Die Wunder im Dunkeln" beglückt Walter Moers seine Leser mit "Die Stadt der Träumenden Bücher" bereits zum vierten Mal mit einem Roman über den geheimnisvollen Kontinent Zamonien - und übertrifft dabei seine früheren Bücher sogar noch! Mit Liebe zum Detail, feinem als auch grobem Humor, liebenswerten sowie durchtriebenen Charakteren und zahlreichen zauberhaften Einfällen führt Walter Moers durch eine Geschichte über spannende Abenteuer, über rätselhafte wie auch gefährliche Orte und nicht zuletzt über Bücher und Literatur jeder Art.

Bartimäus



Hardcover | Erschienen: 01. September 2004 | ISBN: 3492045499 | Preis: 24,90 Euro | 458 Seiten | Sprache: Deutsch

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