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 Weltengänger

Autoren: Sergej Lukianenko
Übersetzer: Christiane Pöhlmann
Verlag: Heyne

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Der 26-jährige Kirill hat eigentlich ein stinknormales Leben - er arbeitet in einer IT-Firma, hat kürzlich mit seiner Freundin Schluss gemacht, er hat einige Freunde und einen besten Freund und seine Eltern sind gerade im Urlaub in der Türkei.

Deshalb hält Kirill es auch zuerst für einen schlechten Scherz, als er eines Abends in seine Wohnung kommt und dort eine völlig fremde Frau vorfindet. Damit nicht genug: Seine Möbel sind verschwunden, und jemand hat das Kunststück vollbracht, innerhalb weniger Stunden die ganze Wohnung neu zu gestalten, neuen Fußboden zu verlegen, neu zu fliesen und zu tapezieren. Am unbegreiflichsten: Kirills Hund erkennt ihn nicht mehr, versucht ihn zu verbellen und schlägt sich treulos auf die Seite der Wohnungsbesetzerin.
Als die gerufene Miliz eintrifft und die Wohnungspapiere verglichen werden, stellt sich heraus, dass die fremde Frau anscheinend schon seit drei Jahren in Kirills Wohnung wohnt, er aber ist nirgendwo vermerkt. Wo soll er nun hin? Damit nicht genug, plötzlich erkennen seine Freunde ihn nicht mehr. Sein Personalausweis verändert sich, sein Arbeitsplatz existiert nicht mehr, der Schlüssel zur Wohnung seiner Eltern zerbröselt in seinen Händen und die eigenen Eltern behaupten, keinen Sohn mehr zu haben. Der einzige, der zu ihm hält, ist sein bester Freund Kotja - der kann sich zwar auch nur sehr vage an Kirill erinnern, doch mithilfe von Protokollen hält er die unglaubliche Geschichte fest und beruft sich immer wieder auf diese Gedankenstütze.
In höchster Not erhält der heimat- und identitätslose Kirill einen mysteriösen Anruf auf seinem Handy. Ein Mann bestellt ihn zu einem alten Wasserturm. Dort angekommen, fühlt Kirill sich auf merkwürdige Weise daheim. Er richtet sich im Wasserturm häuslich ein und stellt fest, dass das Gebäude fünf Türen hat, die Tore in andere Welten darstellen. Kirill findet sich plötzlich als Zöllner zwischen den Welten wieder und gerät in etwas hinein, das größer ist als alles, was er sich vorstellen konnte - und größer als unsere Welt.

"Weltengänger" ist der erste Teil eines neuen Zweiteilers aus der Feder von Sergej Lukianenko, der besonders als Autor der "Wächter"-Reihe (Wächter der Nacht, Wächter des Tages und so weiter) weltberühmt wurde. Mit "Weltengänger" schlägt er etwas andere Wege ein und widmet sich dem Science-Fiction-Genre. Dieser Roman ist nicht nur fantastisch und originell, er ist auch wahnsinnig komisch. Der arme Kirill stolpert durch sein vergessenes Leben und weiß nicht, was er tun soll - er lässt sich aber auch nicht unterkriegen. Es handelt sich aber nicht um einen Roman, der Humor als Hauptthema hat, es ist einfach Lukianenkos Art zu schreiben, die wahnsinnig komisch und unterhaltsam ist. Es mangelt aber auch nicht an Action, Spannung und - gegen Ende - Gewalt.
Die Geschichte kommt langsam in Fahrt, ist aber zu keiner Zeit langweilig. Immerhin ist diese Situation eine, die wohl jeder irgendwie geistig nachvollziehen kann: Was tut man, wenn alle Brücken zum alten Leben urplötzlich abgebrochen sind, wenn man auf einmal ein Niemand ohne Identität, ohne Familie und ohne Freunde ist?

Die detaillierte und fremdartige Welt, die Kirill in seinem neuen Leben als Zöllner zwischen den Welten erwartet, ist grandios beschrieben und wirkt so real, dass man sich zu jeder Zeit in die Hauptperson hineinversetzen kann. Lukianenko zieht häufig Parallelen zu zeitgenössischer Literatur und lässt seinen (Anti)Helden Kirill über fiktive Parallelwelten reflektieren, was den Anschein von Realität noch unterstreicht. Zudem gibt es häufige Seitenhiebe auf das Science-Fiction- und Fantasygenre.
Der Roman erschöpft sich jedoch nicht in Abenteuern in Parallelwelten. Nach etwa 400 Seiten wird es politisch, schwenkt der Roman um zur großartigen Dystopie und lässt ahnen, welch große Pläne der Autor noch mit seinem Leser hat. Das Ende ist spektakulär und macht Lust auf mehr - man muss unbedingt den zweiten Teil sofort in Händen halten, der aber leider noch nicht erschienen ist. Unbegreiflicherweise fehlt im Roman jeder Hinweis darauf, dass es sich hier um den ersten Teil einer Dilogie handelt, der Leser wird am Ende völlig hängen gelassen. Hier hätte Heyne unbedingt einen Hinweis auf den Nachfolgeroman bringen müssen.
Die Aufmachung des Romans ist okay, die Schrift ist allerdings ungewöhnlich groß gewählt und täuscht damit einen erheblich größeren Umfang vor, als das Buch dann tatsächlich hat. Der deutsche Titel "Weltengänger" ist wieder einmal auf die typisch deutsche Weise vereinfacht, als wäre der Leser etwas unmündig und nur durch reißerische Titel zu locken - der russische Originaltitel "Rohschrift" ("Tschernowik") wäre besser gewesen, zumal das Sequel übersetzt "Reinschrift" ("Tschistowik") heißt. Wann der zweite Teil auf Deutsch erscheint, steht noch nicht fest, zumal "Tschistowik" erst im September 2007 auf Russisch erschien.

Fazit: Unbedingt lesenswert - komisch, spannend, fantasievoll und intelligent schickt Sergej Lukianenko den begierigen Leser auf ein Abenteuer, das skurril und gleichzeitig völlig realistisch beginnt, dann aber einen Schwenk macht, der Großes vermuten lässt. Tolle moderne Literatur von einem der derzeit bekanntesten Autoren Russlands.

Christina Liebeck



Taschenbuch | Erschienen: 01. November 2007 | ISBN: 9783453523494 | Originaltitel: Tschernowik | Preis: 15,00 Euro | 592 Seiten | Sprache: Deutsch

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