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 Lust und Liebe - alles nur Chemie?


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis


Michael hat seine Freundin Bianca seit Monaten nicht gesehen; nun holt er sie vom Flughafen ab. Schon bevor der Flieger landet, spielen sich in seinem Innern verwickelte psychische Vorgänge ab, die zu auch äußerlich erkennbarer Nervosität führen. Und als er Bianca endlich vor sich hat, tanzen die Hormone und Neurotransmitter Tango.
Das vorliegende Buch enthält als Aufhänger oder Rahmen, wie man möchte, die Geschichte von Michael und Bianca; Szenen des Wiedersehens werden immer wieder eingestreut. Dazwischen geht es um das, was sich in den Körpern der beiden abspielt, eben um Chemie, um die Chemie der Liebe.
Was im ersten Augenblick unromantisch klingen mag, entspricht den Tatsachen: Unser Gefühlsleben hängt in ganz erheblichem Maße von einigen kleinen Molekülen ab. Zunächst geben die Autoren einen Überblick darüber, wie das Gehirn überhaupt funktioniert, denn ohne Gehirn gibt es keine Gefühle. Danach nähern sie sich allmählich dem Phänomen des Sichverliebens und der "Schmetterlinge im Bauch" nach der langen Trennung der Liebenden Michael und Bianca an.
Wie Sex auf molekularer Ebene eingeleitet wird, zeigt der zweite Abschnitt, gefolgt von einer wissenschaftlichen Analyse der "Signale der Liebe" - etwa des Einsatzes und der Auswirkung des Blickkontakts. Dass die Gene in der Liebe eine bedeutende Rolle spielen, erschließt sich dem Leser im vierten Abschnitt. Mehrere nachfolgende Abschnitte befassen sich mit der Rolle der Hormone im Liebesleben, darunter das Adrenalin, das auch unter Stress freigesetzt wird, die bekannten Geschlechtshormone Östrogen und Testosteron sowie das so genannte Kuschelhormon Oxytocin. Auch um die Chemie der Empfängnisverhütung sowie die Vor- und Nachteile einer Hormontherapie in den Wechseljahren geht es in diesem Zusammenhang.
Und wenn Liebe und Liebemachen einen wahren Rausch auslösen, ähnelt dies durchaus einem Opiumrausch, wie das Autorenteam aufzeigt, denn unser Körper produziert in bestimmten Situationen Substanzen, die wie Opiate wirken. Einige abschließende Kapitel schließlich untersuchen, wie man der Liebe zusätzlich auf die Sprünge helfen kann, oder vielmehr, warum Kosmetikhersteller mit Lippenstift und Parfüm, Pharmaunternehmen mit Viagra & Co. und Lebensmittelhersteller mit vermeintlichen Aphrodisiaka ein Vermögen verdienen.

Die Chemie von Lust und Liebe wirkt auf den ersten Blick wirklich verblüffend. Manchen Romantiker mag es verstören, dass schon das Gefühl aufkeimender Verliebtheit von Genen und Hormonen gesteuert wird und erst recht alles, was das Leben so schön macht, wenn man einander erst einmal näher gekommen ist.
Ein ernüchterndes Buch also, das wie ein Liebestöter in der Hochzeitsnacht wirkt? Mitnichten. Das Autorenpaar geht an das Thema bemerkenswert einfühlsam, respektvoll und mit einem guten Schuss Humor heran und vermittelt dem Leser einiges an Entdeckerfreude. Der Leser staunt zwar darüber, wie sich ihm vermutlich sehr vertraute und in seiner Wahrnehmung an die Seele gekoppelte Vorgänge und Gefühle als biochemische Abläufe darstellen lassen, doch die Lust an der Lust geht bei der Lektüre definitiv nicht verloren, insbesondere, wenn der Leser ein wenig Eigenironie mitbringt. Denn natürlich muss er sich während des Lesens eingestehen, dass wir dazu neigen, uns für wesentlich souveräner zu halten, als wir sind. Dafür, dass die Kapitel nicht allzu theoretisch und kalt wirken, sorgen auch die eingeschobenen Episoden über Michael und Bianca, ein typisches verliebtes Pärchen.
Für die Lektüre sind keine besonderen Vorkenntnisse vonnöten - weder, was Lust und Liebe, noch, was Chemie angeht. Die Autoren erläutern alle Zusammenhänge sehr gut nachvollziehbar und bieten zugleich eine sehr kurzweilige, abwechslungsreiche Darstellung. Nicht immer sind Verliebtheit und Sex das zentrale Thema, denn die hierfür zuständigen Hormone und Neurotransmitter erfüllen im Körper auch andere Funktionen, die keineswegs außen vor bleiben. Auf diese Weise erschließen sich dem Leser verblüffende Funktionen des Stoffwechsels und deren Verknüpfungen auf molekularer Ebene.
Eines der gelungensten populärwissenschaftlichen Bücher über Biochemie! Trotzdem: wetten, dass die meisten Leser beim nächsten Rendez-vous dank des Endorphinrausches kein bisschen daran denken werden?

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 1. Juni 2004 | ISBN: 9783527308231 | Preis: 24,90 Euro | 231 Seiten | Sprache: Deutsch

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