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Das schöne kurze Leben der Libertas Schulze-Boysen

Autoren: Silke Kettelhake
Verlag: Droemer

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis


Nicht alle Protagonisten des Widerstands gegen den Nationalsozialismus tragen so berühmte Namen wie Stauffenberg. Manche Menschen gerieten eher zufällig in entsprechende Kreise, engagierten sich - und fanden ein entsetzliches Ende, wie Libertas Schulze-Boysen.
Libertas, von Freunden "Libs" genannt, wächst als Enkelin von Philipp zu Eulenburg auf Schloss Liebenberg im Brandenburgischen auf; ihr erschließt sich ein wahres Bilderbuchleben: Das 1913 geborene Mädchen macht das Abitur an einem schweizerischen Pensionat, verlebt einige Monate in England und wird, schon früh am Schreiben wie auch am Film interessiert, Pressereferentin bei Metro-Goldwyn-Mayer.
Libertas ist zwar keine klassische Schönheit, doch attraktiv, und sie übt eine große Anziehungskraft auf Männer aus. Die Flirts finden zunächst ein Ende, als sie 1934 Harro Schulze-Boysen kennen lernt, der dem gehobenen Bürgertum entstammt, jedoch politisch weit links steht und sich schon früh mit dem Nationalsozialismus überworfen hat.
Eigentlich möchte Harro nicht heiraten; einer wie er kann keine Sicherheit und Stabilität bieten. Den Eltern zuliebe gehen die beiden jungen Leute schließlich doch die Ehe ein. Harro und Libertas treffen sich mit "Freunden", Nazigegnern, anfangs ohne konkrete Pläne, später kommt es zu Flugblattaktionen und zur Übermittlung von wichtigen Informationen an sowjetische Verbindungsmänner, denn der mittlerweile rehabilitierte Harro arbeitet an einer Stelle, die ihm Zugriff auf brisante Daten ermöglicht. Libertas unterstützt ihn zuweilen, doch der Krieg und die Grausamkeiten, die sie, mittlerweile als Journalistin arbeitend, mitbekommt, wachsen ihr über den Kopf. Sie flüchtet in zahllose Affären, auch Harro verliebt sich neu, und doch kommen beide nicht voneinander los.
Dann wird ihr Funkcode entschlüsselt, den sie für den Datentransfer nach Russland verwendeten. Nur wenige Tage nach Harro wird Libertas festgenommen.
Beide - ebenso wie viele andere Mitglieder der so genannten "Roten Kapelle" - werden gnadenlos hingerichtet. Libertas, jung und lebenshungrig, stirbt gerade einmal 29-jährig.

Die "Rote Kapelle" war keine organisierte Widerstandsgruppe. Ihr gehörten ganz unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Aktivitäten und Aktionsradien an, die im Grunde nur ein Hang zur Linken und eine tiefe Abscheu für den Nationalsozialismus einte.
Eine ganze Reihe der Angehörigen dieser Gruppierung lernt der Leser in Silke Kettlers Biografie von Libertas Schulze-Boysen kennen, darunter Arvid und Mildred Harnack, den Bildhauer Kurt Schumacher und seine Frau sowie die Familien Coppi, Kuckhoff und van Beek.
Hier zeigt sich auch, wie ein großes Ziel Menschen mit recht unterschiedlichen sozialen und politischen Hintergründen einen konnte - und wie dramatisch sich das psychologische Geschick der NS-Verhörspezialisten auswirkte, die eher naive Menschen wie zum Beispiel Libertas Schulze-Boysen trickreich dazu brachten, Gleichgesinnte zu verraten.
Die Arbeit im Widerstand, in der "Roten Kapelle" relativ wenig organisiert und (vielleicht aus der Sicht zu überheblicher Nachgeborener) wenig effektiv, wird ausführlich betrachtet und gewürdigt. Im Zentrum des Buchs steht jedoch die Person Libertas, Libs, eine junge, ehrgeizige und romantische Frau voller Träume und Sehnsüchte. Schriftstellerin möchte sie werden, der Film fasziniert sie. Wenn da nicht die lästigen Beschneidungen durch das Naziregime wären ?!
Libertas lebt intensiv, liebt intensiv, als wüsste sie schon frühzeitig, dass ihr nur eine kurze Zeit vergönnt ist. Sie bindet sich an Harro, der seinen Widerstand gegen die Diktatur allzu offen zeigt, allzu vielen neuen "Freunden" allzu rasch vertraut und eine fatale Entwicklung in Gang setzt. Es ist vor allem Harro Schulze-Boysen, den man nebst Libertas in dieser Biografie am besten kennen lernt, was nicht verwundert, denn von ihm kommt Libertas letztlich nicht los.
Die Autorin erzählt spannend, mitreißend, angemessen sentimental aus Libertas? und Harros Leben. Viele Briefe der beiden gehen in das Buch ein und vermitteln einen authentischen Eindruck der porträtierten Menschen. Libertas und Harro präsentieren sich nicht unbedingt als Helden, jedoch als idealistische Menschen, denen man eine Zukunft gönnen würde, und die man wohl sympathisch fände, begegnete man ihnen heute. Deutlich tritt hervor, wie sinnlos ihr Tod im Grunde war. Sensibel geht die Autorin zudem auf Libertas? Trauma angesichts der zahllosen Fotos von Wehrmachts- und SS-Verbrechen ein, denen sie von Berufs wegen begegnete.
Eine spannende, atmosphärisch dichte Biografie, die ausreichend sachlich bleibt und doch zu einem dicken Kloß im Hals führt. Der Titel entstammt übrigens dem letzten Brief Libertas? an ihre Mutter, unmittelbar vor der Hinrichtung per Guillotine.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 1. April 2008 | ISBN: 9783426274378 | Preis: 19,95 Euro | 432 Seiten | Sprache: Deutsch

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