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"Otherland" - Eine Hörspiel-Produktion der Superlative

Sieben Jahre lang widmete Regisseur Walter Adler seine Aufmerksamkeit einem einzigen Projekt: der Vertonung der "Otherland"-Tetralogie von Tad Williams. Als aufwändigste und umfangreichste Produktion der ARD-Geschichte wird das klanggewaltige Hörspiel bezeichnet, denn Tad Williams? "Otherland"-Universum birgt zahlreiche Herausforderungen ...

Scheinbar unzählige Berufswege hatte Tad Williams bereits eingeschlagen, bevor es ihm gelang, sich als Autor fantastischer Romane zu etablieren und zu internationaler Bekanntheit zu gelangen; Rocksänger, Angestellter einer Computerfirma, Lehrer, Schuhverkäufer und Versicherungsvertreter sind nur ein paar der Bereiche, an denen sich der heute 48-jährige Kalifornier versucht hat. Seinen Durchbruch als Schriftsteller hat Tad Williams der epischen "Osten Ard"-Saga zu verdanken, die - obwohl im Original eine Trilogie - im Deutschen in vier Bänden herausgegeben wurde. Weitere große Erfolge konnte der amerikanische Schrifsteller mit dem Roman "Der Blumenkrieg" sowie seinem jüngsten Projekt, der "Shadowmarch"-Trilogie, feiern. Auch - oder vielleicht sogar besonders - die "Otherland"-Tetralogie stellt einen weiteren Höhepunkt Tad Williams? Schaffen dar. Auf rund 3.600 klein und dicht bedruckten Seiten führt der Autor durch eine Geschichte, die sich nur schwerlich einem einzigen Genre zuordnen lässt. Die vier Bände der Saga - "Stadt der goldenen Schatten", "Fluß aus blauem Feuer", "Berg aus schwarzem Glas", "Meer des silbernen Lichts" - sind Zukunftsvision und High Technology, greifen aber nicht nur Elemente der Science-Fiction auf, sondern sind gleichsam auch Fantasy, Thriller, Märchen- und Mythenwelt, Mystery und Abenteuer. Diese komplex verarbeitete Vielfalt an Elementen ist es, die vom schriftstellerischen Talent Tad Williams? überzeugt und den Leser vor eine durchaus anspruchsvolle Reise stellt - doch macht eben dieser Anspruch, diese Komplexität mitunter den Reiz von "Otherland" aus.

Auch Walter Adler konnte sich der Faszination von "Otherland" nicht entziehen; bereits nach der Lektüre des ersten Bandes begann er sich Gedanken über eine mögliche Hörspielumsetzung des gewaltigen Werkes zu machen. Walter Adler, der während seiner Berufszeit als Regisseur bereits mehr als 200 Hörspiele in Szene gesetzt hat, legte sein Anliegen dem Hessischen Rundfunk vor, der sich schließlich tatsächlich bereit erklärte, diese gewaltige Herausforderung zu unterstützen, und in die Produktion von "Otherland" einwilligte. Für Aufsehen sorgte diese Entscheidung nicht nur, da sie zu einem Zeitpunkt getroffen wurde, zu dem die "Otherland"-Saga noch gar nicht vollständig war, sondern Tad Williams noch am vierten und letzten Band schrieb, sondern vor allem, weil die Produktion zu "Otherland" die umfangreichste und aufwendigste Hörspiel-Adaption der deutschen Rundfunkgeschichte werden sollte. Eine Laufzeit von sagenhaften 24 Stunden sollte das vollendete Hörspiel einmal umfassen, doch bevor mit den Aufnahmen begonnen werden konnte, lag noch ein weiter und beschwerlicher Weg vor Walter Adler und seinem eingespielten Team.
Zunächst musste die 3.600-seitige Romanvorlage gekürzt, verändert, redigiert und umgeschrieben werden, um sie in ihrer Dramaturgie und ihrem Umfang auf ein für das Medium Hörbuch geeignetes Ideal einzupendeln. Dennoch umfasste das fertige Hörspiel-Skript immer noch umfangreiche 1.200 Manuskript-Seiten. Anschließend galt es, passende Sprecher und Sprecherinnen zu finden. - Keine leichte Aufgabe angesichts der Tatsache, dass rund 260 Rollen zu besetzen waren. Um den Aufnahme-Zeitplan zu straffen, sollten die Sprecher zudem bereits Studio-Erfahrungen mit sich bringen, sollten mit dem Ablauf einer Hörspiel-Produktion vertraut sein und eine gewisse Routine haben. Und obwohl Walter Adler unzählige bekannte Stimmen für sein Projekt gewinnen konnte und so unter vielen anderen zum Beispiel Hans Peter Hallwachs, Ulrich Matthes, Sophie Rois, Matthias Koeberlin, Dietmar Mues, Ulrich Noethen, Udo Schenk, Andreas Fröhlich, Rufus Beck und Joachim Kerzel bei "Otherland" mitwirken, dauerten die Aufnahmen nach Produktionsbeginn am 19. Januar 2004 lange elf Wochen. Dies stellte das Produktionsteam vor ein logistisches Problem, denn die für die Aufnahmen erstellten Zeitpläne sprengten die Bildschirme der Computer, die die Schnittmengen der verschiedenen Rollen errechnen und geeignete Aufnahme-Termine für die einzelnen Sprecher zusammenstellen sollten. Zu diesem Zeitpunkt half nur noch eines: die Pläne stückchenweise auszudrucken, zurechtzuschneiden und zusammenzukleben.
Doch selbst nach erfolgreich abgeschlossenen Sprachaufnahmen war die Arbeit an "Otherland" noch nicht beendet. Während sich der in München lebende Komponist Pierre Oser mit der musikalischen Unterlegung des Hörspiels beschäftigte, die sich sowohl durch dezente Töne als auch durch voluminöse Klänge auszeichnen sollte, begann das technische Team des hessischen Rundfunks, bestehend aus Ursula Potyra und Helmuth Schick, damit, das Hörspiel Stück für Stück zusammenzufügen. Hintergrundgeräusche und akustische Effekte wurden hinzugeschnitten, Stimmen künstlich verzerrt und der Rolle angepasst, Ton und Akustik bearbeitet und ausgewogen. Aus über 100 Stunden aufgenommenem Material, das zuvor sorgfältig und nach bestimmtem System auf den Festplatten gespeichert worden war, entstand nun langsam das fertige Hörspiel.

Nachdem schließlich im September 2004 der erste Teil der Tetralogie, "Stadt der goldenen Schatten", im Hörverlag veröffentlicht wurde, konnten viele Fans erleichtert aufatmen. Denn was Walter Adler, der sich sieben Jahre lang mit diesem Projekt auseinander gesetzt hat, mit seiner "Otherland"-Hörspiel-Produktion erreicht hat, stellte die meisten Fans der Roman-Vorlage zufrieden, mehr noch, wusste sie regelrecht zu begeistern. Vergessen waren die Ängste, ein solch gewaltiges Werk könne nicht vertont werden, vergessen die Befürchtungen, Walter Adler könne sich übernehmen. In vier Hörspiel-Schubern mit jeweils sechs CDs und einer schlussendlichen Gesamtlaufzeit von 1.365 Minuten, was immerhin einer epischen Länge von 22 ¾ Stunden entspricht, sind mittlerweile alle Teile der "Otherland"-Produktion herausgegeben worden und nach Erscheinen des vierten Schubers im Oktober 2005 kann man nun mit Sicherheit sagen: Walter Adler und seinem Team ist mit der Hörspiel-Adaption von "Otherland" ein großartiges Projekt geglückt, das wie akustisches Kino anmutet. In einem Punkt muss man den kritischen Betrachtern des Werkes jedoch Recht geben: Wer die "Otherland"-Romane von Tad Williams nicht bereits kennt, der wird angesichts der vielschichtigen, komplexen Erzählstränge und der schnellen Schnitte Mühe haben, der Handlung folgen zu können.

Valentino Dunkenberger