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Internationale Spieltage + Comic Action Essen 2010

Essen – für Tausende Hobby-Spieler auf der ganzen Welt ist dieses Wort viel mehr als nur der deutsche Begriff für so etwas Gewöhnliches wie den Vorgang der Nahrungsaufnahme. Essen ist für die gesamte globale Branche der Brett-, Karten- und Gesellschaftsspiele, für Verlage, für Autoren und für Spieler ein Meilenstein des Jahres, vier in ganz besonders dickem Rotstift angestrichene Tage. Essen als Stadt ist bei Spielern dank der jedes Jahr im Oktober stattfindenden Internationalen Spieltage (kurz SPIEL) fest mit dem Hobby verknüpft und war auch vom 22. bis 24. Oktober 2010 mal wieder Ziel globaler Pilgerfahrten ins Spiele-Mekka der örtlichen Messehallen. Die Internationalität der Veranstaltung drückt sich jedoch nicht nur bei den Besuchern aus, sondern mittlerweile auch immer mehr bei den Verlagen. 45 Prozent der 786 teilnehmenden Aussteller stammten aus dem Ausland, vor allem der asiatische Markt boomt regelrecht. Doch auch Hersteller und Besucher aus den USA, Frankreich, den Niederlanden, Finnland oder Italien machen in Essen Jahr für Jahr ihre Aufwartung und präsentieren eine schier unüberschaubare Flut von Neuheiten, Erweiterungen und bereits bekannten Spielen.

Für manch einen blieb diese Präsentation jedoch aus, denn dieses Jahr schien bei den Verlagen irgendwie der Wurm drin zu sein. Durch einen massiven Ausfall in der Produktionskette schafften es diesmal leider nicht alle der heiß ersehnten Neuheiten auf die Messe. Die Opfer darunter: das Strategiespiel "Vinhos", das sich um Weinbau in Portugal dreht; die Erweiterung zum modernen Klassiker "Shogun" von Dirk Henn; die deutsche Neuauflage von "Automobile" und noch andere. Die meisten Neuheiten waren zur Messe jedoch wenigstens in einer Demo-Kopie zum Anspielen vor Ort.

Nicht zu vergessen ist auch der große Bereich der Rollenspiele, der einen festen Platz auf der Messe hat und die im Rahmen der SPIEL stattfindende Comic Action, auf der Jahr für Jahr Größen der Comicszene zu Gast sind.

Natürlich kann man als Besucher der Messe bei über 650 Neuerscheinungen unmöglich alles ausprobieren und alles erleben, was diese große Messe zu bieten hat. Doch für einen kleinen Eindruck der SPIEL '10 haben wir unsere Messe-Erlebnisse der verschiedenen Tage einmal zusammengetragen. Jeder von uns verbrachte vier Tage auf der Messe - Julius von Mittwoch bis Samstag, Sandra von Donnerstag bis Sonntag.


Mittwoch - 20. Oktober 2010


[PIC]Traditionellerweise werden die Internationalen Spieltage immer durch die Pressekonferenz am Mittwoch eröffnet, bevor die eigentliche Veranstaltung am Donnerstag für die Besucher zugänglich gemacht wird. Voller Stolz listen die Veranstalter dabei die Rekorde der Messe auf, die diese fast schon gewohnheitsmäßig jedes Jahr bricht. Außerdem wird jedes Jahr der Deutsche SpielePreis verliehen, den dieses Jahr ganz knapp das wundervoll aufgemachte "Fresko" für sich einheimsen konnte. Einen Sonderpreis gab es außerdem für die Zweit- und Drittklässler einer Grundschule aus Mülheim an der Ruhr, die im Rahmen eines Wettbewerbs zur RUHR.2010 ein schönes Familienspiel entwickelten. Außerdem präsentieren mittwochs auf der Neuheitenshow die Verlage mit großem Tamtam und ausgefallenen Kostümen ihre Neuheiten. [PIC][PIC]Aber auch kleine Verlage laden zu kurzen Erklärungen ihrer Neuheiten ein – in dem Gedränge der Journalisten und dem engen Platz, den viele Verlage für die Vorstellung ihrer Spiele haben, wirft das bekannte (und beliebte) Chaos der kommenden vier Tage bereits seine Schatten voraus. Während im oberen Stockwerk der Messehallen die Neuheiten präsentiert werden, laufen die Vorbereitungen in den unteren Ausstellungshallen auf Hochtouren. Noch lässt sich bei den Hunderten eingeschweißter Paletten, den zugestellten Gängen und den hektischen Arbeiten der Aussteller nicht wirklich glauben, dass am nächsten Tag bereits alles fertig aufgebaut sein und durch den ersten Schwung der insgesamt circa 150.000 Besucher gestürmt werden wird …

Donnerstag - 21. Oktober 2010


Julius:
[PIC]… doch tatsächlich ist am Donnerstag um 10 Uhr, als die Horden sich durch die öffnenden Türen der Messehallen drücken und man – völlig unabhängig des eigenen Ziels – zunächst mit dem Strom der Masse mitgeschwemmt wird, von der Unordnung des Vortags nichts mehr zu erkennen. Sofort werden die ersten Spieltische besetzt, jeder steuert den Stand, den Verlag, das Spiel, den Tisch an, der sich gerade anbietet oder den man sich bei seiner vorherigen Recherche bereits ausgesucht hat.

Erfahrene Messebesucher wissen, dass viele Verlage von Anfang an kleine Goodies und Give-Aways unter das Volk streuen und Spiele nur in geringer Auflage anbieten – deswegen ist am Donnerstag erstmal Shoppen angesagt. Wer weiß, vielleicht hat ja noch irgendein Stand den kleinen Restposten dieses seltenen Spiels, das man sonst nirgendwo mehr findet? Wenn man in Sachen Brettspiel-Klassiker irgendwo fündig wird, dann in Essen! So ist die Messe am Donnerstag zwar noch nicht so bevölkert wie an den restlichen Tagen – aber dennoch ist Schnelligkeit gefordert, wenn man attraktive Give-Aways oder in kleiner Stückzahl importierte Spiele abgreifen möchte.[PIC]

Doch wenn man mal einen freien Tisch findet, dann setzt man sich natürlich hin und probiert das dort liegende Spiel aus. Zum Beispiel "Era of Inventions" von Quined Games, ein Strategiespiel, in dem man während der industriellen Revolution Erfindungen tätigt, die dann von allen Spielern produziert werden können. Vom Mechanismus her basiert das Spiel auf einem überschaubaren Worker Placement, wie man es etwa aus "Die Säulen der Erde" oder aus "Agricola" kennt. Grafisch ist es nett aufgemacht, die Regeln sind recht überschaubar und die Zusammenhänge zwischen Fabriken, Erfindungen und Produkten wird schnell klar. "Era of Inventions" funktioniert gut, aber es kann nichts Neues an den Tisch bringen. Erneut werfen da kommende Erkenntnisse der Messe ihre Schatten voraus – denn noch schlimmer in dieser Hinsicht trifft es das "20. Jahrhundert" von Czech Games Edition und dem Heidelberger Spieleverlag. Auch hier liegt ein halbwegs übersichtliches Strategiespiel vor, in dem man in einer Art Mini-"Civilization" Landschaftsplättchen mit Städten ersteigert, dadurch Geld oder Wissenschaftspunkte erhält und gleichzeitig aufpassen muss, dass man nicht zu viel Müll und Umweltverschmutzung produziert. Und auch hier ist der Mix aus Versteigern, Plättchenlegen und Wachstum zwar funktional, aber wenig mitreißend. Schon interessanter gestaltet sich da "Inca Empire" von White Goblin Games. Hier müssen die Spieler ihr Inka-Reich durch Straßen immer weiter ausbauen und dabei Städte und Garnisonen errichten. Dabei werden jede Runde die Aktionen der Spieler durch Handkarten modifiziert – im Guten wie im Schlechten. Nur für eine Erklärung gereicht hat es bei "Phantom League", einer Brettspiel-Umsetzung des Videospiel-Klassikers "Elite", und bei "Kaigan", das sich mit dem ungewöhnlichen Thema der Kartografierung Japans im 19. Jahrhundert beschäftigt, aber einen schönen Eindruck macht. Und schon sind urplötzlich neun Stunden vorbei – die Messehallen schließen wieder. Der Geldbeutel ist bereits viel zu leicht, der Rucksack viel zu schwer und irgendwie hat man doch noch viel zu wenig ausprobiert …

Sandra:
Los geht's - der erste Messetag steht an, die monatelange Vorfreude erreicht ihren Höhepunkt. Glücklich schätzen können sich alle, die ihre Eintrittskarten bereits im Vorverkauf erworben haben, denn so müssen sie nicht bis zu einer Stunde in einer der vielen Kassenschlangen anstehen und können direkt nach Öffnung der Messetore um 10 Uhr in die Hallen stürmen. Nach einer langen Anreise führt der erste Weg allerdings häufig direkt zum nächsten Kaffeestand. Wenn da nicht unterwegs die Schnäppchen beim Heidelberger Spieleverlag mitten auf dem Weg liegen würden ... Sofort ist der Kaffee vergessen und die Schnäppchen werden betrachtet und schon hängen die ersten zwei Taschen an den Händen.

Nun endlich den Kaffee ... aber nein, erst einmal müssen die Phantastik-Antiquariate in Halle 6 abgeklappert werden. Ein langer und spannender Weg durch Halle 6 und über die Comic Action in den Hallen 8 und 9 steht an. [PIC]Der Donnerstag ist bei vielen Besuchern der traditionelle Shoppingtag - finden sich doch mancherorts günstige Angebote und Raritäten, die sich sonst nur sehr schwer finden lassen. Essen ist eine Fundgrube, die kaum Wünsche offen lässt. Spieler finden in Kleinauflage herausgegebene Spiele aus internationalen Verlagen (wenn sie denn schnell genug sind, etwas davon zu ergattern) und immer wieder gibt es auch spezielle Give-Aways wie Sonderkarten, Bausteine und dergleichen für beliebte Spiele, die von Verlagen an die Besucher verteilt werden - auch hier sollte man möglichst schnell sein und schon am Donnerstag die gewünschten Specials einsammeln. Gleiches gilt für einige der Comic-Specials vom Panini-Verlag, die jedes Jahr speziell zur Comic Action im Rahmen der Internationalen Spieltage erscheinen. Eine Liste der Sondereditionen erscheint jedes Jahr im voraus auf der Website der Comic-Action.

Kleinauflagen und Sammlerstücke gibt es natürlich auch in Halle 6. Dort tummeln sich Rollenspielverlage wie "Feder und Schwert" und "FanPro", die jedes Jahr hier ihre Neuheiten, aber auch ihr lieferbares Programm vorstellen. Auch der große und immer sehr gut besuchte Stand von "Pegasus Spiele" findet sich in dieser Halle. Ob der Müdigkeit wird jetzt doch die kostenlose Metprobe weggelassen und da gerade ein Tisch bei Pegasus frei wird, an dem sich eine Demorunde "Quest - Zeit der Helden" nebst Erklärbär in Form des Chefredakteurs des Spiels anbietet, diese Gelegenheit ergriffen. "Quest" bietet besonders jüngeren Spielern einen Einstieg ins Rollenspiel. Der Questmaster liest dabei den jeweiligen Textabschnitt vor und folgt den Anweisungen in der Questbeschreibung, wie man es aus Soloabenteuern kennt. Die vier Mitspieler, von denen jeder einen Fantasy-Charakter durchs Abenteuer führt, dürfen gemeinsam Entscheidungen treffen, wie es weitergehen soll, und müssen sich auch im Kampf gegen eine Horde Orks beweisen. Für Rollenspieler bietet "Quest" leider viel zu wenig Möglichkeiten, ist aber auch nicht als Ersatz für eine Rollenspielrunde gedacht. Für Einsteiger jedoch bietet es einen schönen Einblick. Glücklicherweise findet sich gleich in der Nähe des Spieltisches ein Kaffeestand, so kann der Koffeinpegel wieder auf Normallevel gebracht werden.

Nach einem weiteren Shoppinggang bietet sich ein freier Tisch beim Heidelberger Spieleverlag an. Gespielt wird "Mobbing", das drei bis sechs Spielern die Gelegenheit gibt, seinen "Kollegen" übel mitzuspielen und möglichst viel Einfluss bei den Aufsitzratsvorsitzenden geltend zu machen. Dieses neue Kartenspiel macht besonders dann Spaß, wenn die Spieler keine Skrupel haben, sich gegenseitig mit fiesen Mobbingkarten am Gewinnen zu hindern.

Gefühlt läuft jeder Dritte mit den großen Heidelberger-Taschen durch die Hallen und mit den Stunden werden die eigenen Taschen auch immer schwerer. Zeit ins Hotel zu wechseln und sich für morgen vorzubereiten!


Freitag - 22. Oktober 2010


Julius:
Dachte man donnerstags manchmal noch, auf der Messe sei es voll, wird man spätestens am Freitag eines Besseren belehrt – schließlich beginnt jetzt das Wochenende und in Nordrhein-Westfalen sind noch Herbstferien. Und mit den herbeiströmenden Massen erscheinen auch allerlei seltsame Gestalten auf dem Messegelände. Natürlich bedient die Messe schon seit Jahren mit Halle 6 auch die Interessen von Rollenspielern – insbesondere für Live-Rollenspieler findet sich hier viel beeindruckendes Material in Form von Rüstungen und Waffen. [PIC]Wie es bei einer guten Convention nun mal so ist, schmeißen sich einige der Besucher auch dementsprechend in Schale. So sollte man sich nicht wundern, wenn auf dem Messegelände plötzlich Ritter, Orks, Elfen, Vampire oder Werwölfe herumstreunen. Diese Gestalten kann man dann bei kurzen Pausen zum Rauchen oder Frischluftschnappen im Innenhof sogar bei charmant-unbeholfenen Schaukämpfen mit ihren Latexwaffen beobachten.

Aber man ist ja nicht nur zum Gucken da, sondern auch zum Ausprobieren. Also wieder rein in die Messehallen und nach einem freien Tisch gesucht. Sehr dankbar war dabei "7 Wonders" von Repos Productions und Asmodée, schließlich dauert eine Partie nur 30 Minuten und fasst bis zu sieben Teilnehmer. So wenig definitive Highlights es dieses Jahr in Essen auch gab – "7 Wonders" gehört garantiert dazu. Das Kartenspiel, in dem man die Rolle einer uralten Zivilisation übernimmt, die gleichzeitig an einem der sieben Weltwunder und am restlichen Imperium arbeitet, überzeugt durch sehr schönes Artwork auf den Karten, sauber strukturierte, elegante Regeln und ein gutes Verhältnis zwischen Spieldauer und taktischer Tiefe. Eigentlich wählt man in jedem Spielzug nur eine seiner Handkarten zum Bauen aus, aber die vielen Richtungen, die man dabei einschlagen kann, und die Interaktion mit den benachbarten Spielern stellen einen vor interessante Entscheidungen. Das achte Wunder war dann nur leider der mit 40 Euro sehr stolze Preis des Spiels.
Deutlich strategischer ging es beim Heidelberger Spieleverlag mit "Constantinopolis" von Stratelibri zu, einem sehr klassisch aufgezogenen Spiel, das sich um die bekannte Produktionskette aus Herstellung von Ressourcen über Produktionsgebäude und Verkauf jener Ressourcen über Schiffe für Geld dreht. An sich ein gutes Spiel, das man in allen seinen Einzelheiten aber schon sehr oft gesehen hat.

Bei den Heidelbären wird neben kleineren Verlagen wie Czech Games Edition oder Lookout Games (die mit "Merkator" auch ein neues Spiel von Uwe Rosenberg im Programm hatten) aber auch der amerikanische Verlag Fantasy Flight Games vertrieben – und das bedeutet riesige Schachteln, Tonnen von Pappmarkern und Heere von Plastikminiaturen. Versteht sich von selbst, dass man sowas auch mal ausprobiert. [PIC] Und wenn es auch über all die Tage hinweg einfach nicht gelingen wollte, einen Platz am neuen Tisch des neuen "Civilization"-Brettspiels zu erlangen (und erst recht nicht an der famos ausschauenden Lovecraft-Adaption "Mansions of Madness"), so konnte doch zumindest eine Demo-Runde von "Runewars" den Hardcore-Gamer mehr als zufrieden stellen. Das im "Descent"-Universum spielende Konfliktspiel für zwei bis vier Spieler erinnert von den Mechanismen her angenehm an das ultimative FFG-Brettspiel "Twilight Imperium" – ob es da auch in Sachen Spielspaß rankommt, müsste ein intensiverer Test zeigen. Aber warum nur ist es schon wieder 19 Uhr und die Messe macht zu?

Sandra:
Deutlich kürzer sind die Schlangen an den Kassen heute, die meisten Besucher dürften ihre Karten schon gestern gekauft haben. Die Messegänge jedoch wirken leerer als am Tag zuvor, was daran liegen könnte, dass der Freitag eher zum Spielen genutzt wird - eingekauft wurde von vielen ja schon gestern. Die Spieletische sind stark frequentiert, mit etwas Geduld lässt sich aber ein Plätzchen finden. Interessant ist es, sich einfach inspirieren zu lassen. Nicht jedes Spiel, das optisch ein Highlight ist, ist dies auch spielerisch und umgekehrt. Es ist wie bei Büchern: "Don't judge a book by its cover".

Nur Spielen aus dem Weg gehend, die ausschließlich für eine sehr junge Zielgruppe gedacht sind, macht am Freitag das Familienspiel "Die Abenteurer" von Pegasus Spiele den Auftakt. Dessen Spielphasen erinnern an Begebenheiten aus Indiana Jones-Filmen. Eine große Steinkugel wird per Würfelwurf durch den Hauptgang im Tempel bewegt und droht den einzigen Ausgang zu verschließen. Es gilt daher, den Tempel trotz einiger Fallen möglichst schnell zu verlassen und dabei noch Schätze einzusammeln. Jeder spielt für sich, Interaktionen zwischen den Spielern gibt es keine. Als Spiel für Familien ist es trotzdem recht gut geeignet, die Kinder werden sicher besonders am Memory-Element Spaß und auch die Nase vorn haben.

Gleich nebenan bei "Steve Jackson Games" locken Zombies auf lila Karten. Es handelt sich um den Prototypen des Kartenspiels "Give me the Brain", welches im nächsten Jahr in der dritten Auflage erscheinen wird. Die in einem Fast-Food-Restaurant arbeitenden Zombies können nur dann wirklich Einfluss nehmen, wenn sie sich das Hirn sichern können. Jedoch gibt es nur ein einziges wahres Hirn im Spiel, das in Form eines großen Würfels in der Tischmitte liegt. Hat es keinen Besitzer, wird es in der Runde versteigert. Ziel des Spiels ist es alle Karten loszuwerden und am besten drückt man sie irgendwie den anderen Mitspielern auf. Ein lustiges Spiel, bei dem kaum jemand schlecht gelaunt bleiben wird. [PIC]Außerdem gab es bei "Steve Jackson Games" das tollste Give-Away der Messe, das man mit einigem persönlichen Einsatz ergattern konnte: Ein plüschiges Mini-Chibithulhu! Wie alle Munchkin-Extras gibt es auch für dieses eigene Regeln, so dass es in Munchkin-Spielen (Munchkin Cthulhu oder gegen Kultistenkarten) eingesetzt werden kann. Die Regeln finden sich hier bei The World of Munchkin.

Da beim Heidelberger Spieleverlag mal wieder alle Tische, an denen Spiele getestet werden können, die uns interessieren, besetzt sind, treibt es uns in eine Runde "Dungeon Fighter", dessen Prototyp am gleichen Stand präsentiert wird. Eine Art Dartscheibe aus Papier stellt das Spielbrett dar, außerdem erhalten die Spieler einen Fantasy-Charakter und viele bunte Würfel. Der erste Eindruck jedoch täuscht, es handelt sich hier nicht um ein Fantasy-Dungeon-Spiel, sondern vielmehr um ein Partyspiel, bei dem Würfel auf verschiedene Arten auf die Dartscheibe geworfen werden müssen - der Würfel muss dabei stets mindestens einmal vorher auf dem Tisch aufprallen. Die Zielgruppe des im Februar 2011 erscheinenden "Dungeon Fighter" ist unklar - denn warum sind die Feindkarten mit schönen und detaillierten Fantasywesen verziert, wenn dann doch "nur" mit einem Würfel geworfen wird? - und "geworfen" ist hierbei wörtlich zu nehmen. Allerdings ist der Funfaktor bei diesem Spiel sehr hoch, zumindest, wenn man es das erste Mal spielt.

[PIC]Mit unzähligen Bodenplatten und schicken Kunststoffminiaturen lockt "Earth Reborn" an einen gerade frei werdenden Spieltisch. Christophe Boelingers (Dungeon Twister) neues Spiel ist erschienen bei Z-Games und liegt bisher nicht in Deutsch vor. Die Ausstattung ist sehr großzügig, das in einem Science-Fiction-Ambiente angesiedelte Spiel erinnert mit dem Spielmaterial zunächst an ein Dungeon-Spiel. Mit einem Teil der Spielplättchen wird ein vorgefertigtes Szenario ausgelegt und die Figuren werden an die definierten Stellen gestellt. In diesem Einsteigerszenario übernimmt ein Spieler die Zombies und Cyborg-ähnlichen Kreaturen, alle anderen spielen zusammen gegen ihn und seine Figuren. Das Regelsystem ist sehr ausgeklügelt und komplex - kann aber gerade dadurch auch punkten. So gestalten sich sogar die Kämpfe recht realistisch, da jede Figur Markierungen zu ihren Kampfzonen auf ihrer Base hat. Beispielsweise gibt es natürlich weniger Gegenwehr, wenn jemand von hinten angegriffen wird … Christophe Boelinger war persönlich am Stand und unterstützte die Erklärbären vor Ort. Im Falle von Regellücken gab er den Spielern auf sehr charmante Art Spieletipps.

Kurz vor Schluss der Messe wurde noch eine Runde "Dungeonquest" (Heidelberger Spiele) angespielt. Nachdem jedoch klar wurde, dass es sich nur wieder um eine Neuauflage des unsäglichen "Drachenhort" handelt, das durch ausgeweitete Kampfregeln nun noch langweiliger geworden ist, war es doch sinnvoller, die letzte Stunde lieber durch einen lockeren Bummel durch die Gänge zu verbringen.


Samstag - 23. Oktober 2010


Julius:
Den größten Respekt verdienen auf der Messe all jene, die ihre Spiele oder die Spiele ihres Verlags wieder und wieder und wieder erklären. Wer mal in Essen den Erklärbären gespielt hat, weiß, dass die eigenen Stimmbänder schon nach wenigen Stunden völlig ausgefranst und ausgeleiert sind. Dennoch machen all die begeisterten Helfer stets tapfer weiter, erklären ihr Spiel auch zum aberdutzendsten Mal voller Geduld und häufig auch Begeisterung. [PIC]Nun gut, nicht immer wurde alles richtig erklärt, Fehler und Regellücken machten gelegentlich einen eigenen Griff zur Anleitung nötig. Das kann man von der Erklärung zu "Tikal II" von Asmodée jedoch nicht behaupten. Die beiden erfolgreichen Autoren Michael Kiesling und Wolfgang Kramer haben sich zusammengesetzt und eine schöne Fortsetzung zu ihrem mehr als zehn Jahre alten Hit "Tikal" geschaffen. Inhaltlich hat "Tikal II" mit dem nicht mehr ganz so viel gemein, aber dafür spielt sich das Spiel wesentlich flotter, ohne strategisch anspruchslos zu sein. Ein schönes und schön aussehendes Strategiespiel. Gar nicht schön sah noch vor einem Jahr "Last Train to Wensleydale" von Martin Wallace aus – eher so, als hätte jemand seinen Mageninhalt auf das Spielbrett geleert. Der Argentum Verlag hat sich dem angenommen und zeigt das Spiel in der Variante "First Train to Nürnberg" nun mit wesentlich angenehmeren Farben vor. Am Spiel selbst hat sich dafür wenig geändert – leider, denn sowohl Aufbau als auch Spielablauf sind sehr fummelig geraten und die Regeln sind Wallace-typisch wieder mal mit einigen Ausnahmen versehen, die man im stressigen Umfeld der Messe nur zu leicht vergisst. Leider eine Enttäuschung.

[PIC]Nach so viel Strategie braucht es auch mal was Einfaches. Der Stand von LEGO ist nicht weit weg und bietet charmante Kinderspiele, die komplett mit LEGO-Steinen gebaut werden. Als Lizenzspiel ist das im Harry Potter-Universum angesiedelte "Hogwarts" etwa gar nicht mal so übel. Wie in "Das verrückte Labyrinth" müssen die Spieler die Treppen und Klassenzimmer der Zauberschule drehen und verschieben, um an ihre Gegenstände zu gelangen. Dank der witzigen Ausstattung macht das durchaus eine Partie lang Spaß. Das Gegenteil davon stellt jedoch "Atlantis Treasure" dar, wo man mit einem U-Boot Schätze ausheben und sich gegenseitig abschießen kann – das Spiel hat eine verwirrende Optik und funktioniert selbst als einfaches Würfelspiel nicht wirklich gut.

Der Trend der kooperativen Spiele von 2008 ist so schnell wieder versiegt, wie er aufkam. Die Fahne hoch hält jedoch "Pandemie"-Autor Matt Leacock, der mit "Die Verbotene Insel" sowas wie die direkte Fortsetzung zu seinem Seuchenbekämpfungs-Hit rausbringt. Bis zu vier Abenteurer müssen auf einer langsam im Meer versinkenden Insel vier Schätze heben. Das funktioniert genau wie in "Pandemie" dadurch, dass die Spieler Karten in bestimmten Farben sammeln, während sie gleichzeitig dafür sorgen, dass ihre Füße trocken bleiben, denn nach und nach verschwinden die Spielplanteile in den Tiefen des Meeres. Das Gefühl, auf einer versinkenden Insel zu agieren, ist dabei recht stimmig, ansonsten spielt sich "Die Verbotene Insel" wie ein "Pandemie" light, dessen Regelwerk noch erkennbar ist, aber deutlich zusammengekürzt wurde. Dieser indirekte Nachfolger sieht zwar toll aus, ist aber überflüssig, wenn man "Pandemie" schon kennt.

Sandra:
Schon sind die ersten zwei Tage der so lange ersehnten Messe rum. Samstags ist es in den letzten Jahren immer sehr voll gewesen, so auch heute. Einen Platz für eine Runde "7 Wonders" ist mal wieder nicht zu ergattern, gleich nebenan aber lockt ein strahlend weißer Tisch mit einem neuen Spiel von Asmodee: "Arriala, der Garonne-Kanal". [PIC]Ein Spielesupporter ist auch schnell zur Stelle, so kann der Spielesamstag beginnen. Bei diesem Spiel gilt es die Mehrheit in Kanalabschnitten zu erlangen, je abgeschlossenem Bereich gibt es Punkte laut einer Punkteskala. Pöppel setzen, versetzen, Schleusen bauen - all dies erfolgt durch das Ausspielen von Karten. "Arriala" ist auch für Kinder gut geeignet, ähnelt aber viel zu sehr Carcassonne, um wirklich Neues bieten zu können. Schnell ist es auf den inoffiziellen Namen "Carcassonne Kanal" getauft.

Auf dem Weg zum nächsten Spieltisch begegnet man heute immer mehr phantasievoll gekleideten Figuren aus Mangas und Animes - sicher steht bei Panini Comics wieder ein Cosplay-Wettbewerb statt, bei dem die besten Kostüme und Performances gekürt werden. Über die Gänge der Comic Action soll unser Weg zum Stand von Czech Games Edition führen. Unterwegs sind die Schlangen am Panini-Stand auffällig, sitzen dort doch einige Zeichner- und Autorengrößen der Comicszene und signieren und zeichnen Sketches für die geduldig wartenden Fans.

[PIC]Nur wenige Stände weiter guckt die riesige plüschige Katze aus den Cartoons von Olivia Vieweg und Michael Möller jedem Besucher tief in die Augen. Gestern noch saß neben ihr eine kleine Version, diese hat aber wohl schon ein neues Zuhause gefunden.

Es wartet auch noch das Gewinnspiel am "Werkzeugs"-Stand auf die Teilnahme, und da dort heute ohnehin sehr viele deutsche Phantastik-Autoren ihr Stelldichein geben, ist das nächste Ziel klar. "Werkzeugs" ist spezialisiert auf den Verkauf von signierten Büchern, "Zeug" zu deutschen phantastischen Werken - so gibt es beispielsweise T-Shirts mit Sprüchen aus deutschen Fantasy-Romanen und vieles mehr. Ein Blick auf die Werkzeugs-Website lohnt sich und bietet vielleicht auch neue Ideen für ausgefallene Weihnachtsgeschenke. [PIC] Gerade signieren Christoph Hardebusch (links) und Markus Heitz (rechts) am Stand, Wolfgang und Heike Hohlbein, Ju Honisch, Gesa Schwartz und Bernhard Hennen folgen noch nach.

Nur wenige Meter noch, schon sitzen wir am einzigen Tisch bei Czech Games Edition und versuchen uns an "Travel Blog". Die Spieler übernehmen die Rolle von Online-Journalisten und müssen möglichst aktuelle News veröffentlichen und dabei Reisekosten sparen. Im Grunde ist es eine neue Variante des alten Klassikers "Europareise" (wenn man die Europavariante wählt), denn während die Spieler die Länder, die in Form von Karten zur Auswahl ausgelegt werden, auswählen, ist die Europakarte abgedeckt. Die Herausforderung ist, nun trotzdem Karten für sich auszuwählen, die möglichst nicht direkt aneinander und auch nicht zu weit auseinander liegen. Über sieben Runden ändern sich der Schwierigkeitsgrad und der Fokus der Reisen - insgesamt aber ein wirklich tolles Spiel, um Kindern geographische Zusammenhänge aufzuzeigen. Zumal auch jemand, der sich nicht gut auskennt, nicht gleich meilenweit hinter den anderen Spielern liegt und somit der Frustfaktor sehr gering ist.
[PIC]Nochmal zurück in Halle 12 wird kurzerhand das familiengeeignete Spiel "Hornet" von Z-Games ausprobiert. Wieder geht es um das Erlangen einer Mehrheit, um Punkte zu ergattern, dieses Mal auf Nektar- und Honigwabenfeldern - also leider wieder nichts Neues, auch wenn hier die Spielfiguren Hornissen sind und die Bausteine Nektar und Honig symbolisieren.

Eine Runde "Speicherstadt" von eggertspiele kann danach etwas versöhnen, handelt es sich zwar nicht um eine Neuerscheinung aber doch um ein sehr schönes, kurzweiliges Spiel, welches Vielspielern wie auch Gelegenheitsspielern Spaß machen wird. Die Regeln sind leicht zu erlernen und da die einzelnen ausliegenden Karten je Runde sozusagen versteigert werden, können die Spieler sich auch gegenseitig beeinflussen. Es gilt Siegpunkte zu sammeln und unter anderem Waren von Schiffen einzulagern oder zu verkaufen und die Lagerhäuser vor Bränden zu schützen.

Und schon ist der Samstag wieder vorbei und die Pläne für den nächsten Tag können gesteckt werden!


Sonntag - 24. Oktober 2010


Am letzten Messetag sind die Tore nur bis 18 Uhr geöffnet, aber immer noch genug Zeit, um das eine oder andere Spiel zu testen. [PIC]Die Wahl fällt auf das im Mai 2010 bei Abacusspiele erschienene "Jerusalem". Tisch und Stühle beim italienischen Verlag "Red Glove" sind etwas wackelig, was über die drei Stunden andauernde Spielpartie dann aber doch in Vergessenheit gerät. Die deutsch- und englischsprachigen Erklärbären führen uns in das Spielprinzip ein und supporten uns über die gesamten drei Stunden - nicht überall darf man ein Spiel tatsächlich durchspielen, umso schöner ist es, wenn man sich in solch einem Fall als Spieler sogar noch als willkommen fühlen darf. Überhaupt erhält der aus Italien stammende Erklärbär Andrea von uns den Orden "Erklärbär SPIEL Essen 2010"! Eine ausführliche Rezension zum Spiel "Jerusalem" findet sich hier auf Media-Mania.de.

[PIC]Nach den drei Stunden Spielspaß müssen vor der Heimreise noch etwas die Beine vertreten werden und bekanntermaßen gehen am Sonntag auch noch einmal einige Preise runter. So werden noch ein paar Zinnfiguren-, Hörspiel-, Buch- und Spieleschnäppchen ergattert und beim beeindruckenden Stand von Freebooter Miniatures laufen auch noch einige waschechte Piraten vor die Kamera. Seltener geworden sind die Stände, an denen das Bemalen von Miniaturen gezeigt wird, bei Freebooter Miniatures hat man aber noch die Gelegenheit einem Profi bei der Arbeit zuzusehen - sehr beeindruckend.

Und wenn jetzt schon mal die Piraten da waren … muss auch unbedingt noch eine Testrunde "Pirates 2ed" vom polnischen Publisher Kuznia Gier vor der Abfahrt gespielt werden! Das Spiel entpuppt sich als echte Überraschung mit vielen Facetten und landet schließlich zusammen mit dem Steampunk-Spiel "Wolsund" in einer Tüte. Wer Spaß am Piratenthema hat und außerdem an der Möglichkeit, die Royal Navy und auch andere Piraten anzugreifen, Waren zu schmuggeln, Rum zu trinken und auch noch eine hübsche Frau zu befreien, kann mit "Pirates 2ed" nichts falsch machen. Das vom Verlag verwendete Spielmaterial ist nicht immer ganz so haltbar, dafür sind die Spiele aber auch um einiges günstiger als bei einigen anderen Verlagen.

Am frühen Nachmittag ist es dann aber soweit - obwohl die Messe nach unserem Gefühl noch eine Woche länger gehen dürfte, wird die Heimreise angetreten. Aber wie immer gilt "Nach der Messe ist vor der Messe" und sooo lange ist es ja gar nicht mehr hin, bis die SPIEL 2011 vom 20.bis 23. Oktober in Essen steigt!


Im Rückblick konnte die SPIEL '10 wie erwartet wieder einen neuen Besucherrekord aufweisen. Von Donnerstag bis Sonntag kamen 154.000 Besucher zu den Internationalen Spieltagen 2010, um sich die Angebote der 786 Aussteller anzuschauen, an den Tischen Spiele auszuprobieren und natürlich auch das eine oder andere einzukaufen. Ein eindeutiger Trend wie etwa der Boom kooperativer Spiele vor zwei Jahren ließ sich diesmal jedoch nicht feststellen. So ist es auch kein Wunder, dass kaum eines der angetesteten Spiele wirklich überzeugen konnte, denn alles wirkte irgendwie vertraut, nirgendwo gab es echte "Aha!"-Momente und auch die Bestenlisten von BoardGameGeek und Fairplay konnten sich auf keine echten Favoriten einigen - außer vielleicht auf "7 Wonders". Eventuell ist es ja der Tatsache geschuldet, dass viele groß angekündigte Spiele es nicht mehr zur Messe schafften. Aber vielleicht findet sich ja in den kommenden Monaten beim Durchwälzen der Spiele dieses Jahrgangs noch die eine oder andere Perle?

Doch eigentlich ist es egal, ob man in Essen das absolute Killer-Spiel entdeckt hat oder nicht - denn Spaß macht die Messe prinzipiell immer. Das Bad in der Menge, das exzessive (Spiele)-Shoppen, das Ausprobieren von Neuheiten, das Treffen von alten Bekannten - all das ist wie jedes Jahr ein Gesamterlebnis. So geht dann ab sofort auch die Vorfreude auf das nächste Jahr los - wenn es im Oktober 2011 dann wieder heißt: Auf zur SPIEL nach Essen!

Sandra Wiegratz, 04.11.2010