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Jägerin und Gejagte
Interview mit Sabine Kuegler
Media-Mania.de: Guten Tag, Frau Kuegler!
Sie haben gerade Ihr drittes Buch „Jägerin und Gejagte“ in der Verlagsgruppe Droemer Knaur veröffentlicht. Darin schreiben Sie über die Zeit, die zwischen den Ereignissen der vorangehenden Bücher liegt. Wie kamen Sie auf die Idee, die vorher eher ausgesparte Zeit zu thematisieren?


Sabine Kuegler: Ich habe in den letzten Jahren erkannt, dass es viele andere gibt, die auch Schwierigkeiten haben mit dem Kulturwechsel – sei es ein kleiner oder sei es ein großer. Das Zweite war, ich wünschte, ich hätte diese Information gehabt, als ich 17 war. Ich habe mich einmal umgeschaut, ich habe noch nie ein Buch gelesen, das sich so intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Da habe ich gesagt „Jetzt ist Zeit, jetzt möchte ich das schreiben!“ und ich bin so ein Mensch, wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig. Daher kam es für mich nicht in Frage, bestimmte Ereignisse zu vertuschen. Auch, weil ich mich damit selbst zum Teil befreie. Es ging auch darum zu sagen, dass ich eben genau so bin, und es ist ein Befreiungsprozess für mich gewesen. Ein Weg, wie ich selbst vieles verarbeiten konnte.

Media-Mania.de: In Ihrem Buch beschreiben Sie anschaulich die Spirale, die bei Ihnen bis zum psychischen Zusammenbruch führte. Im Vergleich zu Ihren anderen Büchern geben Sie mit diesem Buch einen tiefen Einblick in Ihre Psyche. Wie geht man damit um, dass man wildfremde Menschen kennenlernt, von denen man selbst nichts weiß, die aber bereits die eigenen Abgründe durch Bücher kennen?

Sabine Kuegler: Das stört mich überhaupt nicht. Ich bin in einer Kultur groß geworden, wo jeder alles von jedem wusste. Diese Privatsphäre, die wir hier haben, die gibt es dort nicht. Deshalb hat es mich nicht so gestört wie vielleicht andere Leute, die mir gegenüber immer wieder gesagt haben, dass sie das nicht könnten. Und? Ich bin so, wie ich bin und wenn man mich mag, ist das gut und wenn nicht, dann ist es auch gut. Ich nehme das alles sehr locker.

Media-Mania.de: Das Schreiben von „Dschungelkind“ hat Ihnen geholfen, sich selbst besser zu verstehen. Hat Ihnen auch das Schreiben von „Ruf des Dschungels“ und „Jägerin und Gejagte“ geholfen? Inwiefern?

Sabine Kuegler: „Ruf des Dschungels“ hat auch einen Teil dazu beigetragen, dass ich angefangen habe, mich wirklich zu fragen, ob ich noch in den Dschungel gehöre. Das, was mir zu schreiben am schwersten fiel, war „Jägerin und Gejagte“. Das war hart. Da habe ich richtig gelitten, es war wirklich übel. Es hat auch lange gedauert, bis ich gesagt habe „Ich mach’s“. Ich hatte viele Zweifel und habe mich immer wieder gefragt, warum ich mir das antue. Aber letztendlich bekomme ich immer wieder E-Mails und Briefe von jungen Frauen und Männern, die einen Kulturwechsel erlebt und Schwierigkeiten dabei gehabt haben, und dann habe ich ihnen einige Sachen erzählt und sie haben plötzlich gesagt: „Mensch, das stimmt! Darüber haben wir nie nachgedacht.“ Da habe ich mich dazu entschieden, das letztendlich zu tun und aufzuschreiben.

Media-Mania.de: Der zweite große Teil des Buches beschreibt Ihre Abhängigkeit von einer Frau, die in dem Buch den Namen Hilde trägt. Die Frau hat Ihnen und Ihrer Familie sehr großen Schaden zugefügt. Auf ihre Beweggründe gehen Sie in dem Buch nicht ein. Können Sie erahnen, warum Hilde sich so bösartig verhalten hat?

Sabine Kuegler: Ich glaube nicht, dass es das Geld war. Es gibt im Westen für mich ein Phänomen: Es gibt Menschen, die Böses tun, ohne einen richtigen Grund zu haben. Zum Beispiel: Warum vergewaltigt ein Mann ein kleines Kind? Warum – wie wir vor kurzem in Bayern gesehen haben – ist der Mann, der versucht hat, Kinder zu schützen, bis zum Tode zusammengeschlagen worden? Es passieren Sachen im Westen, die überhaupt nicht erklärbar sind. Genau wie diese Frau. Es gibt keine logische Erklärung, warum. Das gibt es in der Urkultur nicht. Alles hat einen Sinn. Ein Eingeborener greift nur an, wenn er bedroht ist oder es sich um einen Feind handelt. Er würde das nicht einfach tun, weil er schlecht gelaunt ist oder weil er eine tragische Kindheit gehabt hat. Das alles ist für mich ein ganz, ganz großes Thema gewesen. Ich habe versucht zu verstehen, warum Menschen etwas Böses machen oder Freude an den Schmerzen eines anderen Menschen haben. Ich glaube, das ist eine Sache, die zum Teil immer schlimmer wird, wo wir sagen müssen, dass irgendwas mit unserer Gesellschaft nicht stimmt.

Media-Mania.de: Eine weitere Frage hat sich mir beim Lesen aufgetan: Sie erwähnen gegen Ende des Buches, dass Sie im Urwald merkten, dass Sie Ihren Platz dort verloren haben, Sie nicht mehr dorthin gehörten, weil Sie sich verändert hätten. Sicherlich haben Sie in den Jahren in der westlichen Kultur einige Veränderungen durchlebt, aber inwiefern hat dies dafür gesorgt, dass Sie im Urwald keinen Platz mehr für sich sehen?

Sabine Kuegler: Ich habe das an den Reaktionen der Leute gemerkt. Sie haben sich gefreut, mich zu sehen, aber die Atmosphäre – es ist ja eine Atmosphäre, die Ausstrahlung, zwischen zwei Menschen, die jeder, auch hier, hat – war zu. Das habe ich gemerkt, als ich dahin gekommen bin und mit ihnen zusammen saß. Also dass sie mich nach wie vor gerne haben und ich jederzeit willkommen bin ist klar, aber so intim, wie es einmal war, ist es nicht und das hatte – glaube ich – mehr mit meiner Ausstrahlung zu tun. Ich habe mich zu sehr verändert und das spüren sie eben. Sie spüren, dass ich mich so verändert habe, dass ich dort nicht mehr reinpasse. Das war sehr hart für mich. Ich habe auch sehr darunter gelitten.

Media-Mania.de: Durch die vorangegangenen Bücher haben Sie eine gewisse Popularität erlangt. Dabei schreiben Sie nicht wie viele andere Autoren über fiktive Charaktere, sondern über sich selbst. Inwiefern haben Ihre Popularität und das Wissen der Menschen um Ihre Lebensgeschichte das Leben Ihrer Kinder beeinflusst?

Sabine Kuegler: Also meine Kinder, gerade die älteren, sind sehr, sehr stolz. Mein Sohn hat in seinem Gymnasium in der Schweiz seiner Deutschlehrerin erzählt: „Meine Mutter ist Sabine Kuegler“, und sie hatte das Buch gelesen, da war er ganz stolz. Also die Kinder sind ganz stolz, aber es spielt bei uns zu Hause eigentlich keine große Rolle.

Media-Mania.de: Sie haben nun über die Jahre zwischen Ihrer Ankunft in dem Schweizer Internat und dem Verfassen von „Dschungelkind“ geschrieben. Am Ende des Buches schienen Sie gestärkt und gefasst. Wie geht es Ihnen heute? Wie erging es Ihnen im weiteren Verlauf bis heute?

Sabine Kuegler: Das Schreiben von „Dschungelkind“ war wie eine Reise, die man macht. Eine Reise mit vielen Erkenntnissen, zu denen man kommt. Erkenntnisse bekommt man aber nur, wenn man sich selbst öffnet. Das war das, was ich durch das Schreiben von „Dschungelkind“ gemacht habe. Indem ich mich geöffnet habe, kamen unheimlich viele Sachen auf mich zu und ich musste es natürlich erst einmal verarbeiten. Man kommt in einem fremden Land an, und sofort ist man bekannt. Ich habe nie darunter gelitten, weil ich eigentlich sehr bodenständig bin, aber ich habe gemerkt, dass je mehr ich hier bin, umso mehr muss ich mich integrieren. Ich habe mich auch stark integriert und ich muss sagen, mir geht es sehr, sehr gut. Und ich bin, so wie ich mein Leben jetzt führe, sehr glücklich. Ich habe das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Und ich glaube, das ist wichtig zu sagen: Okay, ich weiß, ich bin auf dem richtigen Weg. Ich weiß nicht, wohin mich dieser Weg führen wird. Aber ich bin mit dem, was ich heute mache, glücklich.

Media-Mania.de: In Ihrem Buch verwenden Sie immer wieder den Begriff der „Third Culture Children“. Dieser Begriff umfasst Kinder, die fernab der Kultur ihrer Eltern beispielsweise in Entwicklungsländern aufwachsen. Sie schreiben, dass es heutzutage aufgrund der Globalisierung immer mehr solcher Kinder gibt. Gibt es mittlerweile auch mehr Hilfe für diese Kinder und jungen Erwachsenen, damit sie besser aufgefangen und unterstützt werden können als Sie zu dem Zeitpunkt, als Sie in die westliche Kultur kamen?

Sabine Kuegler: Es geht ihnen besser, weil es immer mehr gibt. Es gibt ein ganz interessantes Phänomen: Durch die ökonomische Entwicklung, durch das ökonomische Zusammenkommen der Welt und durch die schnellen Transportmittel, die wir heute haben, gab es eine Zusammenschiebung von Kulturen. Dazwischen sind ganz neue Generationen aufgewachsen beziehungsweise groß geworden. Das wird immer mehr und mehr und mehr. Und wenn es mehr wird, ist das Verständnis auch anders. Ich glaube, ich kam gerade in diesen Zeitraum rein, in dem das noch ziemlich unbekannt war. Inzwischen treffe ich jedoch viele Menschen, die verstehen, warum ich so anders bin, und die verstehen, warum ich so denke und fühle. Es ist auch einfacher geworden, weil es heute mehr akzeptiert wird, da das Verständnis dafür viel besser geworden ist. Man ist für das Thema sensibilisiert worden.

Media-Mania.de: Am Ende Ihres Buches schreiben Sie von witzigen Fehltritten beim Schreiben in der deutschen Sprache, da Sie dieser zu dem Zeitpunkt zwar mächtig waren, sie aber nicht sonderlich gut beherrschten. Das hat mich verwundert, da Sie vorher schrieben, dass Ihre Eltern mit Ihnen zu Hause Deutsch sprachen. Wie kommt es dann, dass Ihre Deutschkenntnisse so gering waren?

Sabine Kuegler: Meine ganze Ausbildung war in Englisch. Ich habe nie gelernt, Deutsch zu lesen oder zu schreiben. Ich habe mir durch „Asterix & Obelix“-Bücher das Lesen beigebracht und wir haben nur mit unseren Eltern Deutsch gesprochen. Untereinander haben wir Englisch gesprochen. Unser Deutsch war sehr gebrochen.

Media-Mania.de: In dem Buch „Ruf des Dschungels“ gehen Sie auf die explosive und gewalttätige Situation in West-Papua ein. Wie ist die Situation heute?

Sabine Kuegler: Es hat sich nicht viel verändert. Es ist ein bisschen besser geworden im Sinne davon, dass es nicht mehr so extrem ist, aber es gibt sehr viele unterschiedliche Berichte. Manche sagen, es ist besser geworden. Andere sagen, es ist schlimmer geworden. Aber groß hat sich dort nichts verändert und es wird sich auch nichts verändern.

Media-Mania.de: Was kann man sozusagen „aus dem Westen“ tun, um die Situation zu entschärfen und sich einzubringen?

Sabine Kuegler: Ja, wir müssten als Gesellschaft anfangen, Produkte zu boykottieren, die aus solchen Ländern kommen. Zum Beispiel Holz, Gold und Diamanten. Diese ganzen Rohstoffe, die aus diesen Ländern rausgenommen werden, müsste man boykottieren und nicht kaufen. Nur wenn es zertifiziert ist, sollte man es kaufen. Es gibt zum Beispiel keine Goldausgrabung, bei der die Menschen nicht verletzt werden. Da müsste man wirklich anfangen zu sagen, dass man wissen möchte, woher unsere Produkte kommen. Wissen, woher unser Holz kommt. Wissen, woher unser Gold kommt. Dann dürfte man erst dazu bereit sein zu kaufen. Wenn wir das machen, dann nehmen wir die Macht weg aus den Händen der internationalen Firmen und dann brechen diese zusammen oder ändern ihre Taktik.

Media-Mania.de: Als Kind und Jugendliche haben Sie sehr gerne gelesen. Zwischendurch scheint dies jedoch untergegangen zu sein. Lesen Sie mittlerweile wieder regelmäßig?

Sabine Kuegler: Ich würde schon gerne regelmäßiger und mehr lesen. Das mache ich im Moment jedoch nicht. Aber es ist sozusagen mein großes Ziel im Leben, mir mehr Zeit zum Lesen zu nehmen. Jedoch habe ich ja auch noch Kleinkinder und das nimmt auch sehr viel Zeit. Bis man dann zu Bett kommt, ist man müde und möchte nur noch schlafen. Aber ich denke mal, das kommt irgendwann mal wieder.

Media-Mania.de: Haben Sie einen Lieblingsort, an den Sie sich zum Lesen zurückziehen?

Sabine Kuegler: Nein, überhaupt nicht. Im Bett. Aber ich habe keinen Platz, an den ich mich zurückziehen kann, es wäre schön, wenn es so wäre.

Media-Mania.de: Welches Buch lesen Sie gerade beziehungsweise welches Buch haben Sie als letztes gelesen?

Sabine Kuegler: Ich bin gerade an einem englischen Buch dran, dessen deutscher Titel „Kelch und Schwert“ ist. Darin schreibt eine Archäologin über eine Zivilisation, wo man sagt, dass es eine ganz große Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gab. Ihre These ist, dass es durch diese Gleichberechtigung in der alten Kultur keinen Krieg, dafür aber viel Kultur, gab. Es ging ihnen sehr, sehr gut und sie haben über 1000 Jahre gelebt.

Media-Mania.de: Dann möchte ich doch mit einer typischen Frage der westlichen Kultur abschließen: Was haben Sie für die Zukunft geplant?

Sabine Kuegler: Das weiß ich noch nicht. Also ich werde jetzt erstmal das Buch promoten und dann habe ich noch ein zweites Buch, einen Roman, der noch rauskommt. Das wollte ich mal machen, es ist aber noch nicht geschrieben. Und ja, dann kommen noch einige Projekte demnächst.

Media-Mania.de: Dafür viel Erfolg!

Sabine Kuegler: Dankeschön.



Interview geführt auf der Frankfurter Buchmesse, am Stand der Verlagsgruppe Droemer Knaur.

Rezension zu "Jägerin und Gejagte"
Geführt von Vera Schott am 16.10.2009