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 Rost in Kunst und Alltag des 20. Jahrhunderts

Autoren: Jutta Weber
Verlag: Reimer Verlag

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis


Rost wird von den meisten Menschen, wenn überhaupt, eher als Ärgernis wahrgenommen - als unschöne Flecken am Gartenzaun etwa, am Auto, wo Rost kostenintensive Werkstattbesuche nach sich zieht, oder bei weggeworfenem Müll, der hässlich vor sich hinrostet. Rostendes Metall zeugt, so die vorherrschende Meinung, meistens von mangelnder Qualität, von Verfall und Zersetzung.
Erst in jüngerer Zeit hat sich ein gegenläufiges Bild entwickelt: Rost wird als Bestandteil von Kunstwerken und auch von Architektur akzeptiert und sogar geschätzt. Mit der Bedeutung von Rost in Kunst und Alltagskultur hat sich Jutta Weber in ihrer Doktorarbeit mit dem Titel "Rost in Kunst und Alltag des 20. Jahrhunderts" auseinander gesetzt. Dabei beleuchtet die Autorin sehr vielfältige Aspekte dieses sehr speziellen Themas. Tatsächlich dürfte es sich um die allererste kunstgeschichtliche Auseinandersetzung mit Rost, seiner Bedeutung und Perzeption handeln.

Rost entsteht durch einen chemischen Prozess, bei dem Metall unter Einwirkung von feuchter Luft oder sauerstoffhaltigem Wasser korrodiert. Rost bedeutet im Grunde genommen also eine Zersetzung der wegen ihrer Stabilität geschätzten Werkstoffe Eisen und Stahl und ist aus diesem Grund traditionell negativ besetzt und als Merkmal mangelhafter Beständigkeit unerwünscht. Rost kann aber durchaus auch ästhetisch sein. Dann symbolisiert er keinen Verfall mehr, sondern eine Reihe anderer Dinge - der Rost ist keine Begleiterscheinung mehr, sondern Selbstzweck. Einen ersten Vorstoß, Rost in Kunstwerke zu integrieren, unternahm Pablo Picasso bereits im Jahr 1912 mit "Gitarre". Ihren Höhepunkt erreichte die Anerkennung von Rost aber erst in den 90er Jahren. Vorangegangen war eine lange Zeit, in der Rost als hässlich oder zerstörerisch empfunden wurde, eine Zeit, in der Kunstwerke, die mit Rost arbeiteten, ungewöhnlich kontrovers diskutiert und als Schrott offen angefeindet wurden.

Auf 223 Seiten dreht sich in dieser Doktorarbeit alles um Rost, so erstaunlich das dem Leser zunächst erscheinen mag. Das erste Kapitel ist nach einer Einleitung der Autorin eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Eigenschaften von Rost, wobei sowohl die Aspekte "Farbton und Farbentwicklung" als auch die "Korrosivität" - die wohl prägnanteste Eigenschaft, an die man in Zusammenhang mit Rost denkt -, betrachtet werden. Es folgt ein Kapitel zu "Rost, Schrott und Kunst". Hier wirft Weber einen ausführlichen Blick auf den "Werdegang" von Rost in der Kunstgeschichte. Rost war lange Zeit nur ein ungeliebter, ja geradezu gehasster Indikator von Verfall. Dennoch oder vielmehr gerade aus diesem Grund wurde und wird er in der Kunst verwendet. Die Unterkapitel lauten dementsprechend "Ein Kunstwerk aus Schrott: Jean Tinguelys Märchenrelief", "Schrottentwicklung im Spiegel der Kunst" und "Zur Rezeption von Schrott in der Kunst".

Danach widmet sich die Arbeit der Bedeutungsverschiebung, die Schrott und Rost in Kunst und Alltag im 20. Jahrhundert erfahren haben. Die beiden Unterkapitel lauten hier "Von Rost zu Patina" und "Historische Wendepunkte: Neue Perspektiven auf rostige Oberflächen". Nach einem zusammenfassenden und ausblickenden Schlusswort schließen sich eine Reihe von Farbtafeln an, die verschiedene Blicke auf Rost und rostende Objekte zeigen - Kunstwerke, Rost in Bildern, Rost als Akzent bei Bauwerken, Rost, der Kerzenleuchter, Sitzgelegenheiten und Beetbegrenzungen umspielt. Diese Abbildungen sind durchgehend vollfarbig, während die innerhalb des Textteils der Arbeit verwendeten Abbildungen schwarz/weiß sind. Der Anhang beinhaltet schließlich das umfangreiche Literatur- und Bildverzeichnis sowie ein Register.

Ist Rost Schrott? Und kann er Teil von Kunst sein? Ende des 20. Jahrhunderts wurde statt "Rost" immer häufiger wohlwollend der Begriff "Patina" verwendet, eine Bezeichnung, die bisher nur Kunstwerken vorbehalten war und die für einen gereiften Prozess, für etwas Edles und Wertvolles steht. Rost in der Kunst wurde in vielfacher Hinsicht plötzlich nicht nur geduldet, sondern tatsächlich als schön empfunden. Rostige Zierobjekte wie etwa Kerzenständer oder Blumentöpfe waren auf einmal schick (und sind es heute noch), von Rost gezeichnete Industriekomplexe wirkten und wirken kultig. Rost wurde als "Zeuge der Geschichte" zum Sinnbild für Historie und sogar zum Sinnbild für Natürlichkeit.

Die Wandlung der Bewertung von Rost - von Schrott und Verfall zu Patina - steht laut der These der Autorin auch für die drastische Ausweitung des Kunstbegriffes im 20. Jahrhundert. Die Aufwertung von Rost wurde durch die künstlerische Auseinandersetzung mit ihm viele Jahre lang vorbereitet. Rost ist vielseitig und komplex. Wie zwiegespalten das Verhältnis von Rost und Kunst ist, zeigt sich schon allein dadurch, dass rostige Kunstwerke sich nach und nach selbst zerstören, da der Korrosionsprozess im Trägermaterial stetig voranschreitet.
Jutta Weber wirft in ihrer Arbeit nicht nur einen Blick auf den Rost an sich, auf den chemischen Prozess und was er mit dem Trägermaterial tut, sondern sie betrachtet in diesem Zusammenhang auch die Entwicklung der westlichen Industrienationen und ihren Umgang mit den Werkstoffen Stahl und Eisen.

Fazit: "Rost in Kunst und Alltag des 20. Jahrhunderts" ist eine sehr spezialisierte, aber auch sehr interessante Arbeit, die Rost unter verschiedenen Aspekten betrachtet. Auf der einen Seite erkennt der Leser Rost als Merkmal von Zerfall und Indiz für den Niedergang der Stahl- und Eisenindustrie. Auf der anderen steht der Rost als ästhetische Oberfläche, als Stellvertreter für historische Vergangenheit und Sinnbild von Natürlichkeit. Die detaillierte Auseinandersetzung mit dem Thema dürfte sich an an Kunstgeschichte Interessierte ebenso richten wie an Menschen, die sich konkret mit Werkstoffen und Rost auseinandersetzen, zum Beispiel Designer und natürlich schaffende Künstler. Für andere Leser, die Rost bislang nur vom eigenen Gartenzaun kennen, dürfte die Arbeit stellenweise zu theoretisch und wissenschaftlich sein, obwohl auch sie sicher den einen oder anderen interessanten Aspekt finden werden.

Christina Liebeck



Softcover | Erschienen: 01. Juli 2008 | ISBN: 9783496013914 | Preis: 49,00 Euro | 223 Seiten | Sprache: Deutsch

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