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 Der Manga und seine Szene in Deutschland von den Anfängen in den 1980er Jahren bis zur Gegenwart

Manga - Mehr als nur große Augen


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Japan hat Deutschland unerbittlich im Würgegriff: Mangas erobern verstärkt die Buchläden, mehrere Stunden an Anime-Serien werden täglich durch den Äther gejagt und alljährliche Anime-Conventions sind auch keine Seltenheit mehr. Trotz der stetig wachsenden Begeisterung für den Manga und sein Umfeld sind wissenschaftliche Studien zu diesem Phänomen aber äußerst rar gesät. Welche Gründe sich auch dafür finden lassen mögen - das relativ junge "Alter" des Manga-Booms der letzten Jahre oder die allgemeine akademische Ignoranz der Comictheorie gegenüber -, eines ist gewiss: Der Manga erntet das wissenschaftliche Desinteresse zu Unrecht. Einen Hoffnungsschimmer versprechen akademische Studien der letzten Jahre, die sich mit dem Phänomen beschäftigen - wie etwa Sebastian Kellers Magisterarbeit "Manga - Mehr als nur große Augen".

Wenig vorgenommen hat sich Keller nicht gerade: Er will auf rund 140 Seiten einen kulturwissenschaftlichen Überblick über den japanischen Comic und seine Szene in Deutschland schaffen. Auch angesichts des zu untersuchenden Zeitraums will er sich keinen großen Beschränkungen unterwerfen: Mit einer Zeitspanne vom Beginn der 1980er Jahre bis zur Gegenwart (das heißt: 2005) widmet sich der Autor der gesamten Geschichte des Mangas in Deutschland. Als roter Faden dient Keiji Nakazawas "Barfuss durch Hiroshima", das 1982 als erster Manga in Deutschland erschien und 2004/05 bei Carlsen neu aufgelegt wurde.

Die vorliegende Arbeit ist wie folgt gegliedert: Nach einem einleitenden Kapitel, in welchem unter anderem der aktuelle Forschungsstand paraphrasiert wird, gibt der Autor einen kurzen Abriss über die Geschichte des Mangas, bevor er dann auf Wegbereiter und Verbreitungswege des Mediums im Deutschland der frühen 1980er Jahre zu sprechen kommt. Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit Mangatypen von Mecha bis Hentai und ihren geschlechtsabhängigen Zielgruppen, bevor auf die Frage eingegangen wird, wie viel Wahrheit hinter dem weit verbreiteten Bild steckt, der japanische Comic spreche vorrangig die (weibliche) Jugend an. Danach widmet sich der Autor mit den Conventions einem wesentlichen Bereich der deutschen Manga-Szene und geht weiters auch auf die Typologie des Mangalesers (Leser, Fan, Otaku) ein. Einem abschließenden Resümee sind ein Glossar mit den wichtigsten Fachtermini sowie siebzig Seiten Transkripte mehrerer Interviews von Mangafans - eines der Hauptinstrumente der vorliegenden Arbeit - angehängt.

Als Mangaleser der ersten Stunde kennt Sebastian Keller die deutsche Szene und weiß, mit welchen Problemen der Manga in Deutschland zu kämpfen hatte und noch hat. Umso mehr verwundert es, warum der geschichtliche Abriss so knapp ausfällt: Er geht auf die Vorreiterrolle von japanischen Zeichentrickproduktionen wie "Heidi" oder "Captain Future" hierzulande ein, behandelt aber mit "Barfuss durch Hiroshima" und "Genji Monogatari Asakiyumemishi" bloß die ersten wichtigen Etappen (1982 beziehungsweise 1992) der Verbreitung von Manga und Anime in Deutschland. Weitere Meilensteine auf diesem langen, beschwerlichen Weg nennt der Autor nur wenige und hier auch nur die allerwichtigsten wie "Sailor Moon" oder "Dragon Ball". Von einem Überblick der kontinuierlichen Entwicklung der deutschen Szene fehlt jede Spur, lediglich absolut markante Zwischenstationen, die Keller dem interessierten Leser nicht einfach vorenthalten kann, finden Erwähnung. Damit Hand in Hand geht das dürftige Repertoire an Manga- und Anime-Reihen, welche der Autor als Beispiele anführt: Er greift stets auf ein und dieselbe Handvoll prominente Vertreter ("Sailor Moon", "Dragon Ball" und dergleichen) zurück, doch weitere Beispiele sind äußerst spärlich gesät. Auch bleiben in Deutschland veröffentlichte Anime-Filme komplett auf der Strecke, die Rolle von Filmen wie "Das letzte Einhorn" oder die Werke von Hayao Miyazaki bei der Etablierung der Szene hierzulande wird nicht angesprochen.

Das Kapitel über die Mangatypen ist zwar als Einführung durchaus lesenswert, doch vermisst man allzu oft einen wesentlichen Punkt, nämlich die Rezeption der Genres hierzulande. Nur selten kommt der Autor darauf zu sprechen, ob und wie deutsche Verlage sowie die Leserschaft ein bestimmtes Genre aufnehmen und welche Rolle westliche Werte- und Normvorstellungen bei der Etablierung eines deutschen Manga-Marktes einnehmen. Betrachtet man überdies die Gliederung der Arbeit gründlich, so macht die eine oder andere Einteilung keinen Sinn. So kommt der Autor etwa im Kapitel zu den "süßen" Mädchen-Mangas auf die Darstellungsweise des super deformed zu sprechen, obwohl auch manch blutiger Manga wie "Hellsing" stellenweise auf diese Methode zurückgreift.

Die vorliegende Arbeit will sich kulturwissenschaftlich geben, doch lässt sie einen wesentlichen Punkt außer Acht: Keller versteift sich zu sehr auf die Wechselwirkung zwischen Anime, Manga und Rezipient (ohne sich aber ins Detail zu wagen …), vernachlässigt dabei aber, wie sich parallel zur Entwicklung der deutschen Manga-Szene der Transfer der japanischen Kultur im Gesamten abspielt: Hat die Exotik Japans einen wesentlichen Einfluss auf die Verbreitung des japanischen Comics in Deutschland? Setzt mit dem Anime-Boom um die Jahrtausendwende auch gleichzeitig ein gesteigertes Interesse an der japanischen Kultur ein? Solche und ähnliche Fragestellungen fallen beim Autor auf taube Ohren. Lediglich in den durchaus lesenswerten Kapiteln zu den Conventions in Deutschland und der Typologie des deutschen Mangapublikums zeigt er auf, wie durch die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe das gleiche Thema in einem Manga unterschiedlich gelesen werden kann.

Keller hat es offensichtlich nicht für notwendig erachtet, sein Werk vor der Veröffentlichung gründlich zu überarbeiten: Er vermischt zwei Anime-Reihen miteinander, stellt einen unglücklichen Vergleich zwischen der deutschen Manga- und der Neonazi-Szene und prognostiziert für die deutschen Schüler ein mit Japans Jugend vergleichbares Klima, ohne einen einzigen, auch nur ansatzweise stichhaltigen Beweis anzuführen. Daneben ist die allseits bekannte spartanische Ausstattung durch den GRIN Verlag einmal mehr mit von der Partie: Lektoratsabstinenz ist angesichts des Print-on-Demand-Charakters des Verlags Pflicht und auch das Layout spottet jeder Beschreibung. Mit einem Preis von 59,90 Euro heillos überteuert, bleibt nur die Hoffnung, dass sich eine Handvoll Exemplare in diverse öffentliche Bibliotheken verirren, wo man sich das Buch zu Gemüte führen kann, ohne es kaufen und sich danach aus Verzweiflung ob des zum Fenster hinausgeworfenen Geldes selbst geißeln zu müssen.

Wirklich schade! Sebastian Keller hat die Chance verspielt, mit seiner Magisterarbeit ein unverzichtbares Standardwerk für die weitere Manga-Forschung in Deutschland zu schaffen, zumal ein Blick ins Literaturverzeichnis zeigt, dass seine Recherchen mehr sind als das bloße Kratzen an der Oberfläche. Umso bedauerlicher ist dies angesichts der Tatsache, dass sich die Studie stellenweise äußerst ambitioniert und viel versprechend zeigt, nur um kurz darauf den Leser von einer Lücke in die nächste zu stoßen. Zwar werden künftige Forschungen zum Phänomen des Mangas in Deutschland wohl auf Kellers Arbeit zurückgreifen, hier darf man aber keineswegs falsche Rückschlüsse auf die Qualität der Arbeit ziehen. Vielmehr spricht dies für die (noch) mangelhafte Landschaft an entsprechender Fachliteratur …

Michael Höfel



Taschenbuch | Erschienen: 01. Mai 2008 | ISBN: 9783638940290 | Preis: 59,90 Euro | 220 Seiten | Sprache: Deutsch

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