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 Der Zug der Waisen


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Ton
Molly, siebzehn Jahre alt, rebellische Halbwaise und ungeliebtes Pflegekind, muss Sozialstunden ableisten, wenn sie dem Jugendgefängnis entgehen will. Ihr Freund verschafft ihr eine entsprechende Aufgabe bei der über neunzigjährigen Dame, für die seine Mutter als Haushälterin arbeitet: Molly soll der alten Vivian Daly helfen, ihren Dachboden zu entrümpeln.
Rasch zeigt sich jedoch, dass es Vivian keineswegs darum geht, unnützen Kram zu entsorgen. Sie möchte all die Gegenstände, mit denen sie besondere Erinnerungen verbindet, noch einmal ansehen und die mit ihnen verknüpften Lebensphasen Revue passieren lassen.

Denn Vivian, 1920 in Irland geboren und mit ihrer bettelarmen Familie nach New York übergesiedelt, hat als Neunjährige ihre Angehörigen verloren und wird nun mit einem so genannten Waisenzug nach Minnesota verschickt, wo sich, ähnlich wie bei einer Sklavenauktion, im Grunde jeder ein seinen Ansprüchen genügendes Kind ausgucken und mitnehmen kann. Auch Vivian wird schließlich von einem Ehepaar übernommen und in der Folgezeit nur ausgenutzt. Sie geht durch eine wahre Kinderhölle, ehe sich ihr Schicksal wendet.

Aber erst mit Mollys Hilfe – der gemeinsame Hintergrund macht sie zu Freundinnen – gelingt es Vivian Daly, sich ihrer Vergangenheit auch in letzter Konsequenz zu stellen.

Dieser Roman lebt von der Verflechtung zweier Erzählstränge; der eine spielt in der Gegenwart in Maine und wird aus Mollys Perspektive erzählt, der andere ist in Vivians Kindheit, Jugend und frühem Erwachsenendasein angesiedelt und zeigt die verschiedenen Stationen des Lebens der entwurzelten Waise auf.

Durch den Einsatz zweier Sprecherinnen mit ganz unterschiedlichem Timbre wird die Handlung besonders lebendig. Beide verstehen es, sich in die Handlung und die Protagonistinnen einzufühlen und die trotz des unaufgeregten Stils fesselnde Geschichte, oder besser: die Geschichten, so zu erzählen, dass sich der Hörer ihrer Dramatik nicht entziehen kann.

Die Waisenzüge hat es tatsächlich gegeben, ein unschönes Stück US-amerikanischer Geschichte; zwar wurden die Kinder von der Straße geholt, dann jedoch überwiegend an Menschen "abgegeben", die lediglich an ihrer Arbeitskraft interessiert waren. Christina Baker Kline lässt vor dem Hörer solche Szenarien lebendig auferstehen. Beinahe spürt er Hunger, Kälte, Angst, Schmerzen und Einsamkeit selbst.
Doch auch die Figur Molly wurde hervorragend gezeichnet. Kommt Molly anfangs weder mit ihrer Umgebung noch mit sich selbst klar, so gewinnt sie durch die Zusammenarbeit mit Vivian allmählich eine enorme Souveränität und Ausgeglichenheit und lernt, ihre Talente zu erkennen und einzusetzen – und mit dem Verlust ihres verstorbenen Vaters und ihrer süchtigen Mutter zu leben, zu der es kein Zurück gibt. Beide Erzählstränge und ihre Zusammenführung wirken sehr glaubwürdig.

Gut zehn Stunden Hörzeit mögen manchen abschrecken, aber dieser Roman hält den Hörer stets "bei der Stange", er gerät nicht ins Dümpeln und Seichte. Und den Abschluss bildet ein Ende, das zugleich ein Anfang ist.

Eine Hörprobe wird auf der Verlagsseite zum Buch angeboten.

Geliefert wird das Hörbuch als apart aufgemachtes Karton-"Leporello" mit einem Steckfach für die MP3-CD.

Regina Károlyi



MP3-CD | CD-Anzahl: 1 | Erschienen: 10. November 2014 | ISBN: 9783844517484 | Laufzeit: 623 Minuten | Originaltitel: Orphan Train | Preis: 19,99 Euro | Sprache: Deutsch

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