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 Der Clan der Klauen

Autoren: Jo Walton
Übersetzer: Andreas Decker
Verlag: Piper

Cover
Gesamt +----
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Der alte Drache Bon Agornin ist tot, und wie es bei den Drachen Tradition ist, sollen seine Verwandten den Leichnam verspeisen, um daraus Kraft und Wachstum zu beziehen. Doch der nur entfernt verwandte, mächtige Drache Daverak nimmt für sich und seine Sippe einen Großteil von Agornins Leiche ein.
Dessen Sohn Avan kocht vor Wut ob dieser Unverschämtheit und beschließt, sein gesamtes Vermögen, ja sogar sein Leben aufÂ’s Spiel zu setzen und Daverak beim Gericht anzuklagen.

Währenddessen wird Avans Schwester Selendra ein unverschämter Heiratsantrag gemacht, der beinahe zum Verlust ihrer Jungfräulichkeit führt. Bevor Selendra zu den adligen Benandis und ihre Schwester Haner zu den Daveraks zieht, schwören sich die beiden, keinen Mann zu heiraten, mit dem die andere nicht auch einverstanden ist.
In Bernandi angekommen, wird Selendra jedoch mit dem attraktiven Oberhaupt der Familie, Sher, konfrontiert, welcher auch an ihr Interesse findet. Seine Mutter hat jedoch etwas gegen diese Beziehung, ist Selendra doch von weit geringerem Stand und zu keiner angemessenen Mitgift fähig.


Romane, in denen anthropomorphisierte Tiere die Hauptrolle spielen und Menschen höchstens am Rande vorkommen, wenn überhaupt, können meiner Meinung nach nur in zwei verschiedenen Variationen funktionieren. Entweder wird diese nicht-menschliche Welt der Tiere mit einer angemessenen Fremdartigkeit beschrieben, in der man sich nicht allzu sehr an menschliche Verhaltensweisen erinnert fühlt, was beispielsweise in Tad WilliamsÂ’ Debütoman Traumjäger und Goldpfote ganz gut funktioniert hat. Oder die Parallelen zu einer menschlichen Gesellschaft sind so überspitzt dargestellt, dass die Geschichte eine Parabelfunktion ausübt, bestes Beispiel: Orwells Animal Farm.
Der Clan der Klauen, bei dem menschliche Akteure fast restlos durch Drachen ersetzt wurden, versagt bei beiden Varianten kläglich. Einerseits ist das Bild, welches von der Gesellschaft der Drachen gezeichnet wird, schon ein wenig fremdartig, schließlich ist es bei den Feuerspeiern Gang und Gäbe, die Schwachen und Toten zu fressen, man bewegt sich fliegend fort, die eigene Machtposition wird an der Größe gemessen und so weiter. Andererseits tragen diese Drachen Kleidung und Hüte, sie gehen zur Kirche, üben Berufe aus, haben ein Rechtssystem, fahren Kutsche und leben in einer Adelsgesellschaft. Das spräche gegen die Verfremdung und für die Parabelhaftigkeit des Romans. Drachen, die dadurch wachsen und an Macht gewinnen, dass sie ihresgleichen verspeisen, dies mag durchaus ein amüsantes Bildnis sein, welches aber letztendlich in leerem Raum steht, ist es doch das einzige, das der Roman zu bieten hat.
Letztendlich hat man also weder das Gefühl, ein wirklich andersartiges noch ein ironisch verfremdetes Bild der menschlichen Gesellschaft zu betrachten. Schlimmer noch: Würde man sämtliche Drachen durch menschliche Charaktere austauschen und Details wie das Fliegen, Feuerspeien und Fressen der eigenen Artgenossen entfernen, an der Geschichte würde sich rein gar nichts ändern, so extrem ist die Vermenschlichung der Charaktere und der sozialen Umstände. Autorin Jo Walton wollte einen viktorianischen Roman mit besonderer Note schreiben, aber was hilft es, dass diese Note so fürchterlich sinnlos ist?

Die Auswirkungen auf die restlichen Aspekte des Romans sind katastrophal.
Anfangs wird der Leser in eine Gesellschaft mit vielen neuen Vokabeln und Namen geworfen, die er noch nicht kennt, die aber auch nicht mal ansatzweise erklärt werden. Was beispielsweise ist ein "Erhabener", wer ist Sebeth und wer gehört zu wessen Familie? Walton legt fröhlich mit ihrer Geschichte los, lässt den Leser aber ratlos an der Startlinie zurück. Die ersten 150 Seiten werden zur Qual, und zwar zu einer Qual, wie ich sie bisher fast noch nie bei einem Roman durchgemacht habe. Mühsam muss man sich die Verwandtschaftsbeziehungen, die Stände, Berufe und Ziele der einzelnen Drachen einprägen, bevor man sich wirklich auf die Ereignisse konzentrieren kann. Diese motivieren den Leser jedoch ganz und gar nicht dazu, mit dem Buch überhaupt fortzufahren, denn es passiert einfach nichts von Interesse, dreht sich doch alles nur um Heiratsintrigen, Adelsstände und dergleichen. Der furchtbar öde Stil Waltons beschreibt weder Orte und Landschaften noch Charaktere so ausreichend, dass man sich etwas darunter vorstellen kann. Vielmehr hält sie sich damit auf, breit darzulegen, wie denn jetzt die eine Figur in Beziehung zu der anderen steht oder was jene für eine Mitgift braucht, um dort eingeheiratet zu werden, was meist eh nicht geschehen kann, weil sie zu arm ist und so weiter - völlig sekundäre Informationen also. Zeitweise kam es mir so vor, als würde ich eine trockene Familienchronik oder gar in der Bibel lesen, in der Distanziertheit des Stils ist das vergleichbar. Spannung gibt es nämlich mal gar keine, und in den Szenen, in denen es möglich gewesen wäre, welche zu erzeugen, erstickt Walton binnen weniger Zeilen sämtliche Aufregung im Keim. Zudem scheint sie ihren Roman nicht mal wirklich ernst zu nehmen. Der "feine Humor", der auf der Rückseite des Buchs angepriesen wird, ist nicht existent, aber wenn Walton im Text ihren Leser fast direkt anspricht oder am Rande zugibt, die Übersicht über die Zahl der gestellten Heiratsanträge verloren zu haben, dann fragt man sich, ob die Autorin selbst überhaupt weiß, was sie mit diesem Roman eigentlich will.
Offensichtlich möchte Der Clan der Klauen mehr Liebesroman sein als spannungsgeladene oder humoristische Fantasy. Doch vergrault das Buch dadurch, dass es zwischen den Stühlen viktorianischer Roman und Fantasy-Buch angesiedelt ist, beide Leserschaften. Fantasy- oder Drachenfans, die aufregende Geschichten mit den geschuppten Kreaturen erwarten, werden über dem Buch binnen kürzester Zeit einschlafen. Liebhaber viktorianischer Liebesromane werden von den kalten, farblosen Charakteren und der fast völlig emotionslosen Herangehensweise an das Thema Beziehungen abgeschreckt sein.

Kurzum, Der Clan der Klauen ist ein Desaster auf ganzer Linie, einer der langweiligsten und überflüssigsten Romane, die ich je gelesen habe, kann ich mir doch keine Zielgruppe vorstellen, die an diesem Buch ernsthaft Gefallen finden könnte.

Julius Kündiger



Taschenbuch | Erschienen: 01. November 2005 | ISBN: 3492265928 | Preis: 8,95 Euro | 375 Seiten | Sprache: Deutsch

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