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 1946

Das Jahr, in dem die Welt neu entstand


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Im Allgemeinen wird das Jahr 1945, in dem der Zweite Weltkrieg endete, als Wende-, Dreh- und Angelpunkt der Zeitgeschichte angesehen. Als schließlich auch Japan kapitulierte, war der Weg frei für eine neue, bessere Welt.
Doch - und dies zu zeigen, ist das Anliegen von Victor Sebestyens Buch -, die wesentlichen Weichen wurden 1946 gestellt, ein Jahr, in dem sich die Ereignisse regelrecht überschlugen.
Sebestyen, in Budapest geboren, doch in England aufgewachsen, befasst sich in den ersten Kapiteln bereits mit dem Zerbrechen der Gemeinschaft der Alliierten und den ersten Anzeichen für die bevorstehende Blockbildung und den Kalten Krieg. Auch weiterhin wird der Leser sich bevorzugt mit US- und sowjetischer Politik konfrontiert sehen, nicht zuletzt aber mit etlichen hochinteressanten scheinbar weniger zentralen Orten und Persönlichkeiten, so mit dem japanischen Kaiser (und seinem Gegenspieler, General Douglas MacArthur), China im Umbruch, Griechenland und seinem Bürgerkrieg, der fast einen neuerlichen Weltkrieg heraufbeschworen hätte, dem sich brutal abnabelnden Indien und der Türkei. Palästina, das Gezerre um den Iran, ebenso jedoch Pogrome gegen Juden in der Nachkriegszeit, sind gleichfalls Themen einiger Kapitel. Im Epilog fasst der Autor die Entwicklungen und ihre Bedeutung für die Zukunft zusammen.

Kriegsende, Teilung Europas, Aufstände in Osteuropa und die Kriege der USA in Ostasien: Im Allgemeinen wird die Zeit ab 1945 im Unterricht auf diese Kernthemen zusammengestaucht, ohne dass die Lernenden sozusagen an mehreren Hebeln ansetzen können, die aber dazu beitrugen, dass sich mit der Zeit trotz zunächst heftigen Pendelns jenes sensible Kräftegleichgewicht einstellte, das den Ausbruch eines dritten Weltkrieges bislang verhinderte.
Victor Sebestyen gelingt es, nicht nur aufzuzeigen, welch immense Bedeutung die Vorgänge von 1946 in der gesamten Welt für die weitere Entwicklung besaßen, sondern sich auch kenntnisreich und einfühlsam – immer im Rahmen einer sachlichen Betrachtung - auf die unterschiedlichen Mentalitäten, Be- und Empfindlichkeiten sowie Ambitionen von Machthabern und Völkern einzulassen. Eine subjektive Sichtweise ist Sebestyen völlig fremd, und genau das macht dieses Buch so wertvoll: Indem der Autor erläutert, wie sich Entscheidungen auf einer Seite des Erdballs auf der anderen auswirkten, in Ländern mit völlig anderen Traditionen und einer eigenen Geschichte, mit eigenen Bestrebungen und Verletzungen, wie Versuche, gezielt zu manipulieren oder um Verständnis zu werben ins Leere liefen oder das Gegenteil bewirkten, weil "man" die "andere" Kultur nicht kannte, vermag er es auch, dem Leser nahezubringen, wie sich einzelne Entscheidungen, Maßnahmen und Forderungen mittel- und langfristig national und global auswirkten.
Tatsächlich kann das Buch den kritischen Leser dazu bringen, zu begreifen, dass Putin, hierzulande alles andere als beliebt, in den letzten Jahren oft gar nicht anders handeln konnte, als er es tat – gefangen von nationalen Traumata, die bis Stalin zurückreichen und zu einem guten Teil 1946 aufbrachen. Verstörend dürfte das Kapitel über mörderische antijüdische Pogrome im östlichen Nachkriegseuropa wirken (und die erbärmliche Rolle der Kirche in diesem Zusammenhang). Und natürlich gehören Flüchtlinge zu den wichtigen Themen des Buchs, gab es doch die massiven und unerbittlichen "ethnischen Säuberungen" in ehemals von Deutschen oder weiteren Ethnien bewohnten europäischen Gebieten, die nach dem Krieg anderen Ländern zugestanden oder, wie im Falle der Tschechoslowakei, zurückgegeben wurden. Nicht nur, dass der Leser irritiert feststellen mag, wie sehr sich die Bilder doch gleichen, jene und die vom Nahen und Mittleren Osten des 21. Jahrhunderts, sondern Sebestyen zeigt auch, dass der Keim zu diesen Entwicklungen spätestens 1946 gesät wurde.
Der Autor zeichnet exzellente Porträts von einzelnen Persönlichkeiten, darunter Stalin, die Inder Nehru und Jinnah, Ben Gurion und Weizman, Churchill, Attlee, Mao und vielen anderen. Fotos ergänzen die Ausführungen. Vor allem aber sind es die großen, die globalen Zusammenhänge, die er für den Leser erschließt - gut verständlich, sodass keine Vorkenntnisse vonnöten sind. Ein Buch in kraftvoller "Schreibe", vielschichtig und doch aus einem Guss. Ein wichtiger Beitrag zur Allgemeinbildung, ein Buch, das nicht nur spannend aufbereitet neuere Geschichte nacherzählt, sondern Brücken schlägt und Verknüpfungen zwischen 1946 und der nachfolgenden Zeit bis heute erkennen lässt.

Eine Leseprobe bietet die Verlagsseite.

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 27. November 2015 | ISBN: 9783871348129 | Originaltitel: 1946 - The Making of the Modern World | Preis: 26,95 Euro | 539 Seiten | Sprache: Deutsch

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