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 Olympische Spiele

Eine Kulturgeschichte von 1896 bis heute. Band 1: Sommer

Autoren: Klaus Zeyringer
Verlag: Fischer

Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Vierzehn Tage lang kämpften Sportler aus 206 Nationen bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio um Medaillen. Mehr als 10.000 Sportler, 3.200 Schiedsrichter und Assistenten, 45.000 freiwillige Helfer und 85.000 Sicherheitskräfte waren daran beteiligt. Übertragen wurde dieses gigantische Großereignis nahezu weltweit, und auch ARD und ZDF sendeten 280 Stunden live in ihrem Hauptprogramm sowie 1.000 Stunden online in verschiedenen Live-Streams. So waren die 306 Entscheidungen in jedem deutschen Wohnzimmer zu sehen.

Ihren Ursprung haben die Olympischen Sommerspiele im Jahre 1896, als der französische Adlige Pierre de Coubertin diese nach antikem Vorbild wiederauferstehen ließ. Seitdem hat sich so manches gewandelt - nicht nur in der Berichterstattung und den Sportarten, die dort vertreten sind. Mit seiner Kulturgeschichte der Olympischen Spiele spürt der österreichische Literaturkritiker Klaus Zeyringer diesen weitgreifenden Veränderungen nach.


Die Sonne, die Straße, der Durst. Shiso Kanaguri läuft. Kein Schatten schützt. Nur sein eigener läuft vor ihm her und bewegt sich klein auf dem Hitzebelag vor den Füßen.


Dieses Buch beginnt mit einer schier unglaublichen Geschichte. Im Mittelpunkt der Japaner Shiso Kanaguri, der nach einer beschwerlichen achtzehntägigen Reise mit dem Schiff und der Transsibirischen Eisenbahn 1912 zu den ersten beiden asiatischen Sportlern zählt, die an den Olympischen Sommerspielen teilnahmen. So stand er in der für Stockholmer ungewohnt brütenden Hitze beim Marathonstart. Doch gemäß den japanischen Gepflogenheiten verzichtete er auf Getränke, da dies die Schweißproduktion - in Japan galt dies als ein Ausdruck zunehmender Müdigkeit - nur gefördert hätte. Konnte er anfangs noch in einem Pulk mitlaufen, schwanden allmählich seine Kräfte und war schließlich allein auf der Straße. Bis er sich unverhofft im Garten einer schwedischen Familie wiederfand, in dem der entkräftete Athlet einschlief und in den Ergebnislisten seither als "vermisst" gilt. Wohl deshalb, weil er sich im Anschluss wohl aus Furcht vor der Schande und Scham nie bei den Veranstaltern gemeldet hatte. Genau solche Geschichten sind es, welche diese Kulturgeschichte zu einer unterhaltsamen Lektüre werden lassen. Denn Zeyringer hat ein Gespür für das Besondere und weiß dies kurzweilig zu erzählen, wenn er beispielsweise jenen Moment beschreibt, als die beiden dunkelhäutigen US-Sportler John Carlos und Tommie Smith bei der Siegehrung aus Protest gegen den im Jahre 1968 immer noch grassierenden Rassismus ihre schwarz behandschuhten Fäuste in den Himmel reckten, oder Bob Beamons sensationellen Weltrekord, der nicht nur die Zuschauer zu Begeisterungsstürmen hinriss, sondern auch für die Offiziellen aufgrund des zu kurzen Maßbandes eine Herausforderung war.


Die amerikanische Hymne ertönt, auf den drei hohen Stangen am oberen Stadionrand flattern die Flaggen hinauf, das Sternenbanner in der Mitte und rechts daneben. Beide US-Sprinter senken den Kopf und strecken die schwarz behandschuhte Faust gegen den Himmel.


Und dennoch hat das Buch einen entscheidenden Makel, denn die Geschichten und Geschichtchen wirken doch allzu sehr zusammengewürfelt. So springt Zeyringer innerhalb eines Unterkapitels gerne zwischen diesem und jenem Hin und Her, ohne dass der Leser nachvollziehen kann, was das Ganze eigentlich alles miteinander zutun hat. Deutlich wird dies zum Beispiel, als Zeyringer den "Hurrapatriotismus" der Olympischen Sommerspiele von Los Angeles (1984) thematisiert und dies absolut typisch für das Buch unversehens mit einem kurzen unnötigen Schwenk auf die Schwimmerfolge des Deutschen Michael Groß unterbricht. Hinzu kommt, dass es immer wieder Abschnitte gibt (zum Beispiel "Geheimdienste unterm Triumphbogen und die Dramaturgie des Duells"), die disparat wirkende Themen zusammenbringen wollen. Auf diese Weise erscheint die Darstellung seltsam zerfleddert und wirkt fast so, dass der Autor sich einfach nicht dazu entschließen konnte, sein unzweifelhaft immenses Wissen in den Dienst einer schlüssigen und zielgerichteten Darstellung zu stellen.

Aber nicht nur im Kleinen, sondern auch im Großen verwirrt Zeyringer mit der Strukturierung seines Buches. Obwohl er ein offensichtlich im Grundsatz ein chronologisches Vorgehen gewählt hat, durchbricht er dieses immer wieder scheinbar grundlos beziehungsweise lässt den Leser unwissend, wenn er entsprechende Exkurse unternimmt. Ein bezeichnendes Beispiel ist hier das Kapitel "Sportkörper und Stadionmasse", in dem sowohl die olympische Emanzipation der Frauen als auch die Generierung von Heldengeschichten im Mittelpunkt stehen - allein schon dies nicht unbedingt zwei Themen, die in einem größeren Zusammenhang stehen. Ohne erkennbaren Grund fügt Zeyringer dieses zudem inmitten seiner hier weitgehend chronologischen Darstellung zwischen die Spiele von 1956 und 1960 ein. Natürlich gehört so ein Thema in eine Kulturgeschichte, doch wieso nicht zunächst ein chronologischer Abriss, um dann bestimmte kulturhistorische Aspekte in klar abgegrenzten Kapiteln in einem Querschnitt zu beleuchten? Eine Rolle für das Unbehagen des Lesers dürfte hier vielleicht auch spielen, dass die Überschriften der Unterkapitel durch die Angabe entsprechender Jahreszahlen nur vereinzelt darauf schließen lassen, ob hier die Spiele eines bestimmten Jahres oder eben eine übergeordnete Thematik wie die Etablierung der Frauen bei den Olympischen Spielen angesprochen werden.

FAZIT: Ein unterhaltsames, prall gefülltes Kuriositäten-, Skandal- und Geschichtenkabinett - nicht mehr und nicht weniger.

Weitere Informationen zum Buch sowie eine Leseprobe finden sich auf der Webseite des Verlags.

Matthias Jakob Schmid



Hardcover | Erschienen: 23. Juni 2016 | ISBN: 9783100022486 | Preis: 26,99 Euro | 608 Seiten | Sprache: Deutsch

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