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 Der überforderte Frieden: Versailles und die Welt 1918-1923

Autoren: Jörn Leonhard
Verlag: C. H. Beck

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Schüler lernen in Deutschland zum Versailler Vertrag allesamt dieselben Schlagworte: Feststellung deutscher Kriegsschuld, Reparationen, Rückgabe Elsaß-Lothringens an Frankreich. Doch dieser Friedensvertrag war viel mehr, er war der Versuch der Katastrophe des Ersten Weltkriegs eine globale Friedensordnung folgen zu lassen. Die Erwartung an diesen Vertrag waren weltweit gleichermaßen groß wie unterschiedlich und sein Scheitern wirkt dadurch umso gigantischer.

Bücher zum Versailler Vertrag gibt es unzählige. Jörn Leonhard hat vielleicht als erster eine globalgeschichtliche Studie zu ihm geschrieben. Auf gut 1500 Seiten versucht er die Entstehung des Vertrags, seinen globalen Kontext und seine Wirkungsgeschichte darzustellen. So behandeln die zwölf großen Kapitel nur zum Teil die Verhandlungen und den Vertragstext, der im Pariser Vorort entstand. Vielmehr behandeln die Abschnitte Themen wie die Kriegszieldiskussionen während des Ersten Weltkrieges in den verschiedenen Ländern, die weltweiten Reaktionen auf den Vertrag, die Probleme der Nachkriegsgesellschaften, etwa durch neue Grenzen oder zurückkehrende Soldaten. Auch der folgenden Entwicklung in den Kolonien oder seine Wirkung auf die Diplomatie der Zwischenkriegszeit sind Kapitel gewidmet. Ergänzt werden diese Kapitel durch zahlreiche Anmerkungen, einer Bibliografie und mehreren Registern. Zahlreiche Abbildungen finden sich ebenfalls in dem Text.

Jörn Leonhards "Der überforderte Frieden" ist ein monumentales Werk in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist es das vielleicht umfangreichste und facettenreichste Buch zum Versailler Vertrag, zum anderen ein herausragendes Beispiel für die globalgeschichtliche Rekonstruktion eines Ereignisses und seiner Bedeutung. Sicher wurde noch nie die Entstehung und Wirkung dieses Friedensvertrages so ambitioniert in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung analysiert und dargestellt.

So arbeitet der Autor in dieser Studie durch seine globale Perspektive Zusammenhänge heraus, die so deutlich bisher nur selten in der Geschichtswissenschaft oder gar in der Schule vermittelt wurden. So bereits im zweiten Kapitel in der Analyse des Friedensvertrags von Brest-Litowsk. Während die deutsche Seite dort versuchte, die sowjetische Regierung zu möglichst großen territorialen Zugeständnissen zu zwingen, also einen Siegfrieden im Osten durchsetzte, reagierten die Sowjets propagandistisch mit dem Beharren auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und setzten sich dafür ein, dass die osteuropäischen Völker selbst über ihre nationale Zukunft entscheiden sollten. Erst durch diese Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Russland fühlte sich der US-Präsident Wilson genötigt seine Friedensvorstellungen in den berühmten 14 Punkten zusammenzufassen und erst jetzt kommt es auch im Westen zur Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Das ist ein Beispiel dafür, wie durch die globale Perspektive sichtbar wird, wie sich die Diskurse vor und während des Friedensvertrages gegenseitig beeinflussten und nicht eine Seite eine bestimmte Forderung als ihre Erfindung betrachten kann.

Außerdem lernt der Leser eine Menge über die Konzepte der weltweiten Friedensordnung, die miteinander konkurrierten während des Ersten Weltkrieges und der Zwischenkriegszeit. Ob das Ende des Kolonialismus, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das Ende der Geheimdiplomatie oder nationale Expansionsträume, die meisten Vorstellungen von der Nachkriegsordnung wurden enttäuscht. Das betrifft nicht nur das Deutsche Reich. Hier führt die globale Perspektive für viele Leser sicher zu vielen neuen Erkenntnissen, vor allem der, dass die deutsche Frage nur eines von vielen komplexen, faktisch unlösbaren Problemen war, und der Vertrag von Versailles auch so etwas wie die Quadratur des Kreises bedeutete angesichts der komplexen Weltlage am Beginn des 20. Jahrhunderts.

So verdient Leonhards monumentale Studie viele Leser. Auch wenn das Buch dick ist, die kurzweilige Darstellung und die vielen interessanten Erkenntnisse aus globaler Perspektive lohnen sich.

Eine Leseprobe gibt es auch der Verlagswebsite.

Andreas Schmidt



Hardcover | Erschienen: 9. Oktober 2018 | ISBN: 978-3406725067 | Preis: 39,35 Euro | 1531 Seiten | Sprache: Deutsch

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