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 Thomas Andreasson, Band 9: Flucht in die Schären

Serie: Thomas Andreasson, Band 9
Autoren: Viveca Sten
Übersetzer: Dagmar Lendt
Verlag: Kiepenheuer & Witsch

Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Es besteht kein Zweifel daran, dass Andreis Kovac Chef eines großen Drogenrings ist. Doch er hat seine diversen Unternehmen so geschickt ineinander verschachtelt und Lieferanten wie Kunden so gut im Griff, dass die Geldwäsche bestens gelingt und auch sonst keine Beweise für seine Betätigung vorliegen.

Nora Linde, Staatsanwältin, würde Kovac lieber heute als morgen dingfest machen. Jemand hat sie auf eine andere Spur gebracht: Vermutlich wird sie den Ganoven wegen Steuerhinterziehung drankriegen. Und da er seine Frau Mina gerade erst halb tot geprügelt hat, hofft sie auf Mina als wichtige Zeugin sowie Nebenklägerin in Sachen Körperverletzung.
Vorläufig mauert die junge Frau. Völlig verängstigt versucht sie, sich ausreichend um ihren wenige Monate alten Sohn zu kümmern, und lässt sich erst nach viel Zureden zur Übersiedlung in ein Frauenhaus auf einer Schäreninsel zu bewegen.

Als ein Mord geschieht, der Kovac oder dessen direktem Umfeld zuzuordnen ist, kommt es wieder einmal zur Zusammenarbeit von Nora und ihrem alten Freund, Kommissar Thomas Andreasson. Verzweifelt versuchen die beiden, einerseits Andreis Kovac zu finden und andererseits zu verhindern, dass er Minas Versteck entdeckt. Denn er hat unmissverständlich klargemacht, dass er sie töten wird, wenn sie ihm den gemeinsamen Sohn vorenthält. Und Kovac ist kein Typ der leeren Drohungen.

Im neunten Band der Reihe um Thomas Andreasson und Nora Linde weht ein völlig anderer Wind als in den vorausgegangenen Büchern. Viveca greift zum einen das Thema häusliche Gewalt auf, zum anderen lässt sie einen als Kind vom bosnischen Bürgerkrieg traumatisierten, mit der Familie nach Schweden geflohenen heutigen Drogenboss und aggressiven Gewalttäter ohne merkliche Hemmschwelle als Protagonisten agieren.

Andreis Kovac, dessen prägende Kindheitserlebnisse immer wieder eingeblendet werden, soll nun also von Nora Linde zur Strecke gebracht werden, allerdings wegen Steuerbetrugs, weil es hierzu Beweise gibt. Würde seine Ehefrau Mina kooperieren und als Zeugin auftreten, wäre das die perfekte Ausgangslage für einen erfolgreichen Prozess. Doch Mina, fast totgeschlagen, zögert sehr lange. Nicht zuletzt, um ihr Baby zu schützen – bis sie erkennt, dass Loyalität keinen Schutz, sondern das Verderben bedeutet. Denn Kovac tritt jetzt wie eine entschärfte Bombe auf. Und jeder Mensch, der zu Mina hält, wird automatisch zum Todfeind.

Spannend ist das Buch und gegenüber der Hörbuchausgabe auch etwas stimmiger, ob das nun an etwaigen Kürzungen in der Letztgenannten liegt oder daran, dass der Lesende intensiver über den ein oder anderen Sachverhalt nachgrübeln kann. Es gibt da schon so allerlei zu betrachten.
Während Nora Linde und vor allem der von einer Ehekrise gebeutelte Thomas Andreasson wunderbar charaktervoll und authentisch auftreten wie sonst, erlauben sich Mina und auch andere Protagonisten einige leichtsinnige und gedankenlose Aktionen, die selbst ein traumatisierter Mensch mit Sicherheit nicht durchziehen würde, wenn er wie Mina und die anderen genau wüsste, dass ein hochgefährlicher Psychopath hinter ihnen her ist. Wer gesunden Menschenverstand hätte, würde sich zunächst unter falschem Namen irgendwo im Nirgendwo einquartieren. Gerade das unmittelbare Umfeld von Mina hätte ohnehin Personenschutz bekommen müssen. Auf die Idee kommt aber niemand, und so kann Kovac in aller Seelenruhe foltern und morden, wie es ihm passt. Mina könnte auch mal die Handynummer wechseln und sich so gegenüber Kovac und seinen Clan eine kleine Tarnkappe verpassen. Fehlanzeige. Dann hätte Viveca Sten den Roman deutlich komplexer gestalten müssen, aber die dusseligen Aktionen machen ihn nicht besser.

Unklar bleibt, ob der Bosnienkrieg als Hintergrund Kovac' Psychopathie entschuldigen soll oder dazu dient, ein Klischee zu bedienen. Die entsprechenden Einsprengsel sind verstörend, erklären aber nicht, warum manche Bosnienflüchtlinge im Westen oder Norden zu Kriminellen wurden und andere, die dasselbe erlebt haben, sich bestens integrierten.

Letzten Endes bleibt trotz aller Spannung ein etwas unbefriedigendes Gefühl. Da war ein Psychopath, der panische oder auch konzeptfreie Leute manipulierte und keine Skrupel hatte, sie zu töten. Da waren ebendiese Leute, deren Handeln sich bei aller Empathie oft überhaupt nicht nachvollziehen ließ – wer fährt beispielsweise munter weiter zu einem in einem Versteck lebenden Stalking-Opfer, wenn er merkt, dass er verfolgt wird?
Da war, wie erwähnt, der Bosnienkrieg wohl als Trigger für einen latenten Psychopathen. Zum Glück waren da auch Thomas und Nora, ganz die Alten, und retteten das Buch. Es lässt sich lesen. Gut sogar. Doch nach diesem Exkurs darf sich der Leser bezüglich der Fortsetzung nach dem Konzept der acht vorangegangenen Romane sehnen.

Eine Leseprobe wird auf der Verlagsseite angeboten.

Regina Károlyi



Taschenbuch | Erschienen: 8. November 2018 | ISBN: 9783462051971 | Originaltitel: I fell sällskap | Preis: 15,00 Euro | 462 Seiten | Sprache: Deutsch

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