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 Jonathan Strange & Mr. Norrell


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


England, Mitte des 19. Jahrhunderts: Schon lange wird keine Zauberei mehr praktiziert, die Gilde der Zauberer von York ist einzig und allein der theoretischen Magie und dem Studium von Büchern verschrieben. Ein neues Gildenmitglied wagt es zur Missbilligung der alteingesessenen Mitglieder zu fragen, warum denn nicht mehr gezaubert würde in England. Und als Beweis, dass die Zauberei noch lange nicht tot sei, präsentiert der eifrige Mr. Segundus einen schrulligen Herrn vom Lande, der angeblich der Zauberei mächtig sei. Mr. Norrell, so sein Name, erklärt sich nach einigem Hin und Her dann auch bereit, eine Kostprobe seiner Magie zu geben - unter einer Bedingung: Gelingt ihm der Beweis, dass er ein mächtiger Zauberer ist, müssen alle anderen Magier diesen Titel für immer aufgeben.
Und tatsächlich zeigt Mr. Norrell den englischen Theoretikern, dass er zaubern kann, indem er die steinernen Figuren einer Kathedrale zum Leben erweckt. Von da an ist Mr. Norrell die einzige Person in England, die sich offiziell als Zauberer bezeichnen darf. Er zieht nach London um und wird alsbald von der Gesellschaft umschmeichelt und zu zahlreichen Festen eingeladen. Leider ist Mr. Norrell ein etwas exzentrischer, wenig wortgewandter und in Gesellschaft sehr unbeholfener Gentleman, der mit gesellschaftlichen Empfängen wenig anfangen kann. Dennoch bleibt er ein beliebter Partygast der Londoner Oberschicht.

Als Mr. Norrell seine magischen Dienste dem britischen Militär anbietet, das sich gerade im Krieg gegen die Franzosen befindet, macht er die Bekanntschaft des Ministers Walter Pole. Dessen Verlobte Emma liegt mit einer schweren Krankheit danieder, und es ist zweifelhaft, ob die in wenigen Tagen angesetzte Hochzeit stattfinden kann. Als Emma tatsächlich kurz vor dem frohen Ereignis stirbt, ist Mr. Norrell voller Mitleid. Er bietet seine Dienste an, um die junge Dame von den Toten zu erwecken. Das Kunststück gelingt, doch um es zu vollbringen, muss Norrell einen Pakt mit dem Elfenfürst eingehen, der in einer anderen Welt lebt. Er bietet dem fremden Wesen nicht nur die Hälfte von Emma Poles Lebensjahren an, sondern er gibt ihm auch ihren kleinen Finger als Pfand. Damit öffnet Mr. Norrell Tür und Tor für die bösen Machenschaften des Elfenvolkes …
Ein wenig später nimmt Norrell einen Schüler bei sich auf. Der junge Jonathan Strange ist von gänzlich anderem Charakter als sein Lehrmeister - offen, impulsiv und ehrgeizig, dabei hoch talentiert. Zwischen den beiden Zauberern entspinnt sich ein gefährlicher Machtkampf …

Die Autorin Susanna Clarke hat mit "Jonathan Strange & Mr. Norrell" ein Fantasy-Werk von epischem Ausmaß geschaffen: Ganze 1024 Seiten umfasst der Schmöker, der in den historischen Rahmen des frühen 19. Jahrhunderts eingebettet ist und durch die Erzählweise und zahlreiche pseudo-wissenschaftliche Fußnoten teilweise geschickt den Anschein erweckt, ein Tatsachenbericht zu sein. "Ein Meisterwerk, das Tolkien Konkurrenz macht" verheißt der Umschlag; und dieser unpassende Vergleich - denn die Bücher weisen keinerlei Parallelen auf - dürfte eine falsche Erwartungshaltung in so manchem Leser wecken.

An "Jonathan Strange & Mr. Norrell" scheiden sich die Geister: Das Buch ist unbestritten feinsinnig geschrieben, besitzt feinen Humor und Ironie, erinnert in seiner durch und durch britischen Machart und Sprache teilweise wunderbar an Charles Dickens und Jane Austen. Die Handlung, die ja über tausend Seiten füllt, ist jedoch stellenweise sehr langatmig und zieht sich sehr träge durch den Roman, für den man sich wirklich Zeit lassen sollte. Wer es böse meint, könnte behaupten, dass man den Roman auf ein Drittel seines Umfangs kürzen könnte, ohne dass etwas verloren ginge. Wer auf Seite 200 festgestellt hat, dass im Grunde genommen kaum etwas passiert ist, wird sich entweder enttäuscht abwenden oder er wird, bezaubert durch Sprachstil und Atmosphäre des Werks, weiter lesen. Es ist nicht so, dass auf tausend Seiten überhaupt nichts geschieht, jedoch besitzt die sehr ausführliche Schilderung auch kleinster Details zu keiner Zeit Dynamik, es wird eher wenig gehandelt, sondern viel mehr beschrieben und vor allem gesprochen. Spannungsmomente kommen so zu keiner Zeit auf, und wenn, dann eher subtil und mystisch.

"Er sprach nur selten von Zauberei, und wenn er es tat, dann klang es wie Geschichtsunterricht, und kaum jemand hörte ihm zu." - Mit diesem Zitat wird Mr. Norrell im Roman charakterisiert, und ähnlich fühlt sich bisweilen der Leser, wenn er sich in seitenlangen Fußnoten verliert. Es ist schwierig, ein allgemeines Urteil über "Jonathan Strange & Mr. Norrell" zu fällen. Unbestritten gelungen sind Sprache, Stil und Atmosphäre dieses sorgfältig aufbereiteten Fantasywerks, opulent und wunderschön sind die Beschreibungen aus dem England des 19. Jahrhunderts, und man amüsiert sich über den trockenen Humor. Auch die Charaktere, die das Buch bevölkern, sind außergewöhnlich und interessant, wenn auch teilweise ebenso trocken wie Mr. Norrell - man hat häufig das Gefühl, dass die Romanfiguren vollkommen still stehen, dass sie seitenweise gar nichts tun. Manche Leser, vor allem diejenigen, die eine aktiv voranschreitende Handlung mit Momenten der Spannung und Kraft erwarten, werden den Roman sicherlich als entsetzlich träge und langatmig empfinden. Mehr als ein Fantasyroman ist "Jonathan Strange und Mr. Norrell" über weite Strecken eher ein Gesellschaftsportrait der damaligen Zeit.

Der Roman in der Taschenbuchfassung, zum fairen Preis von 14,95 Euro erschienen im Berliner Taschenbuch Verlag, lohnt dennoch definitiv einen Blick - schon allein, weil so viel von ihm gesprochen wurde - und bietet Lesestoff für Freunde von dicken Wälzern, die elegante Fantasy für Erwachsene mögen.


Christina Liebeck



Taschenbuch | Erschienen: 01. Dezember 2005 | ISBN: 3833303344 | Preis: 14,90 Euro | 1024 Seiten | Sprache: Deutsch

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