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 Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis


"Als ich neun Jahre alt war, wusste ich, wie die Welt funktioniert", schreibt der Ich-Erzähler zum Auftakt seiner kurzweiligen Reise durch 36 Jahre Familiengeschichte auf dem Hunsrück, die er mit Anekdoten rund um historische Ereignisse verknüpft. Sie startet mit dem Jahr 1967, der Geburt des Ich-Erzählers. Im Jahre 1970 liest man vom Reihenhaus, das an jenem Tag gekauft wurde, an dem Janis Joplin starb. Am Tag als Ayatollah Khomeini persischen Boden betrat, hatte der Ich-Erzähler seinen ersten Samenerguss und fragte sich, was die verklebte Schlafanzughose bedeutete und warum die Frauen im Iran plötzlich Schleier trugen. Auch Ereignisse im Leben seiner beziehungsunfähigen Kusine, seines kleinkriminellen Vetters, seines fremdgehenden Onkels, seiner wahlweise religiösen oder aber wahnsinnigen Tante, seines nach der Trennung depressiven Vaters und natürlich des Rests der Bagage werden auf diese Weise mit der Welt außerhalb des Hunsrück verwoben. So kapitulierte sein Vetter Günter vor der neuen Zeit und kaufte sich einen Anzug an dem Tag, als Michael Jackson sich anschickte mit "Thriller" alle Verkaufsrekorde zu brechen. Die Ehe der Eltern des Ich-Erzählers wurde eine Woche nach der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland geschieden.

In kurzen Kapiteln wird so jeweils ein privates Ereignis mit einem Blick nach außen verbunden. Ganz im Gedenken Onkel Petes, der nicht der Fremdgänger ist, sondern Leiter der zweiten Mondmission war, wird zumeist erst ein Blick von oben her auf die Welt geworfen, ehe die manchmal recht verzweifelten Versuche der Familienmitglieder glücklich zu werden Gegenstand näherer Betrachtung sind. Und wenn man schließlich nahe genug dran ist, sieht man, dass niemand im Roman so wirklich glücklich ist, dass jeder auf eigene Weise und allein versucht, sich seinen Teil vom Leben abzutrotzen. Das Buch ist aber kein frustrierter Abgesang auf das Leben. Ganz im Gegenteil, Frank Jöricke schreibt witzig, ironisch und trotzdem liebevoll über den Lauf der Dinge in zwei klassischen deutschen Kleinfamilien. Die Verbindung mit dem Außen ist dabei nie beliebig, sondern immer mit Bedacht gewählt: Ein neuer Anzug macht aus Vetter Günter noch keinen neuen Menschen ebenso wenig wie ein neues Gesicht einen aus Michael Jackson macht. Beide teilen also mehr als nur eine zeitliche Koexistenz. Im eigentlichen Sinn wird hier keine zusammenhängende Geschichte erzählt, sondern jedes Jahr wartet mit einer Begebenheit auf, die aber alle zusammen ein geschlossenes Bild der Familie beziehungsweise ihrer Mitglieder ergeben.

"Mein liebestoller Onkel, mein kleinkrimineller Vetter und der Rest der Bagage" hält, was der Titel verspricht: originelle und witzige Lektüre. Mit einem Schuss Ironie und einem Blick vom Mond werden 36 Jahre in kleinen Häppchen auf unterhaltsame Weise serviert, wird Privates und Öffentliches auf höchst vergnügliche und intelligente Weise miteinander verknüpft, wird mit treffsicherer Sprache unser aller Leben aufs Korn genommen.

Katja Maria Weinl



Hardcover | Erschienen: 01. September 2007 | ISBN: 9783932927331 | Preis: 19,90 Euro | 248 Seiten | Sprache: Deutsch

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